5. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Byrd / Psalmes, Songs and Sonnets (1611)

Byrd / Psalmes, Songs and Sonnets (1611)
Byrd / Psalmes, Songs and Sonnets (1611)
Viel zu selten wird eine derart umfangreiche Sammlung von unterschiedlichsten Sätzen vollständig eingespielt. Beim Magnus opus musicum (1604) von Orlando di Lasso wird der Wunsch wohl auf absehbare Zeit unerfüllt bleiben, bei den Psalmes, Songs and Sonnets (1611) von William Byrd wurde er Wirklichkeit. Es handelt sich zwar um ein Alterswerk, nicht aber um einen Schwanengesang. Byrd fasste sein kompositorisches Lebenswerk zusammen, indem er vor allem neue Stücke als Summa und Krönung schrieb. In seinem eigenen Vorwort zur Druckausgabe schrieb er: «Die natürliche Neigung und Liebe zur Kunst der Musik, mit der ich den größten Teil meiner Zeit verbracht habe, war in mir so stark, dass ich selbst in meinen alten Jahren, in denen ich mich nach Ruhe sehne, nicht davon ablassen kann, mich darin zu üben.»

Es sind Sätze, die in nahezu systematischer Ordnung zum Druck gelangten: von durchsichtigen Sätzen à 3 über Verdichtungen à 4 und à 5 bis hin zu sechsstimmigen Werken mit kompakter Faktur. Der Übergang von der nicht zu unterschätzenden Geringstimmigkeit zu den komplexeren Klängen erfolgt dabei fließend – weltliche Texte stehen neben geistlichen, zwei instrumentale Fantasien bilden einen Gegenpart. Auch wenn Byrd selbst bereits mit Blick auf seine Kompositionen bemerkte, «je öfter man sie hört, desto mehr Gefallen findet man daran» (erstaunlich, wie diese Aussage über 400 Jahre hinweg in immer neuen Formen begegnet), so bleibt dennoch die Frage nach der Interpretation. In der Maximalbesetzung singt das Ensemble The Sixteen etwa mit 20 Sänger:innen und verändert die vielleicht für nur wenige Ausführende in Privatandachten gedachten Sätze hin zu chorischer Stimmfülle in größerer Akustik, während die Fantasien von Fretwork sehr kammermusikalisch eingefangen wurden. Für mich ergibt sich hier eine hörbare Diskrepanz, über die sich allerdings das ansonsten sehr informative Booklet ausschweigt.

William Byrd. Psalmes, Songs and Sonnets (1611)
The Sixteen, Fretwork

Coro COR 16193 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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