5. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Wigmore Soloists

Wigmore Soloists
Wigmore Soloists
Für mich zählen Kompositionen in gemischten Besetzungen (zumal ohne Klavier) mit zu den schönsten Schöpfungen, die einem Kammermusik seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zu bieten hat. Und ich meine dabei all jene Opera, die dem Titel nach als Septett, Oktett, Nonett etc. bezeichnet werden. Natürlich handelt es sich um Einzelwerke mit ganz charakteristischen Klangfarben (sowohl der Besetzung wie auch dem Personalstil nach), und dennoch weisen sie ein unüberhörbar engmaschiges Netz an Beziehungen auf. Schuberts Oktett D 803 ist etwa ohne das Septett op. 20 von Beethoven nicht zu denken – das seinerseits unter den Zeitgenossen einen herausragenden Ruf genoss. Warum? Weil es Aspekte der Kammermusik und der Serenade kongenial verbindet, ohne dass die sieben Instrumente ins Sinfonische gesteigert werden. Beethoven selbst setzte den Maßstab, indem er am 15. Dezember 1800 dem Verleger Franz Anton Hoffmeister bekannte: «ich kann gar nichts unobligates schreiben, weil ich schon mit einem obligaten accompagnement auf die Welt gekommen bin.» Ein Bonmot, dass kaum besser die Anforderungen umschreibt.

Und Schubert? Er nahm sich (wie andere auch) Beethovens Septett zum Vorbild für ein eigenes Werk. Zwar erweiterte er die Besetzung dabei um eine zweite Violine, beließ es bei den Bläsern aber bei Klarinette, Fagott und Horn als eine klanglich sehr geschmeidige Einheit. Scherzo (3. Satz) und Menuetto (5. Satz) verweisen auf längst in Gang gesetzte Wechsel zwischen musikalischem Witz und höfischem Tanz, die sich hier nochmals dicht begegnen. Für Werke dieses ungemein farbigen Repertoires hatten früher Dieter Klöcker und sein Consortium Classicum ein Dauerabonnement – bei den Labels, beim Auditorium, aber sicherlich auch in den einschlägigen Bibliotheken und Archiven, denn es galt (und gilt noch immer!) kräftig auszugraben. Wenn daher das 2020 im Zeichen des bösen «C» gegründete Wigmore Ensemble nun mit Schuberts Oktett einsteigt, dann muss es sich daran in den kommenden Jahren messen lassen. Dem auf hohem Niveau musizierenden Ensemble stehen sicherlich Tür und Tor offen – nur muss es nun auch Farbe bekennen. Schubert kann da nur ein Anfang sein. Und so ist auch diese Produktion zu bewerten: als ein gelungener Start, dem man gerne reichlich Vorschusslorbeeren mit auf den Weg gibt. Dennoch wünsche ich mir einen deutlich geschlosseneren Ensembleklang, der gerade den Reiz solcher Besetzungen ausmacht. Das würde dann auch über einzelne Projekte hinausgehen. Oder positiv gesagt: ein schöner Anfang ist gemacht.

Franz Schubert. Oktett F-Dur D 803
Wigmore Soloists

BIS 2597 (2020)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #065 – gemischtes Ensemble