5. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

György Ligeti / Danny Driver

György Ligeti / Danny Driver
György Ligeti / Danny Driver
«In diesen Stücken trotz ihrer unnachgiebigen Virtuosität das Emotionale und Sinnträchtige in den Vordergrund zu stellen bedeutet – zumindest für mich – die ultimative Herausforderung.» Mit diesen bemerkenswerten Worten schließt der englische Pianist Danny Driver seinen kenntnisreichen Booklet-Essay, und er benennt damit auch genau jenen Eindruck, der sich beim Hören seiner Interpretation der Études nicht nur rasch einstellt, sondern auch von Stück zu Stück intensiviert und manifestiert. Denn obgleich sich Ligeti hörbar von Conlon Nancarrows faszinierenden Studies for Player Piano und ihren ganz neuen Formen instrumentaler Virtuosität inspirieren ließ (die mechanischer Natur war), so ging es ihm in seinen Werken auch um Farbigkeit und Ausdruck: «Ich stelle mir eine stark affektive, kontrapunktisch und metrisch sehr komplexe Musik vor, labyrinthhaft verästelt, mit durchhörbaren melodischen Gestalten, doch ohne jeglichen ,Zurück-zu‘-Gestus, nicht tonal, doch auch nicht atonal.»

Und so denkt Danny Driver Ligetis Études auch nicht primär motorisch, sondern von ihrem individuellen Charakter her, ausgehend von Vorstellungen des französischen Impressionismus – so wie Ligeti selbst ursprünglich Debussy als Ausgangspunkt für seine eigenen Überlegungen wählte. Hörbar wird diese spielfreudige Überhöhung der virtuosen Anforderungen durch die sehr präsent herausgearbeiteten Motive, an repetitiven Bewegungen, die nicht bloß kreisen, an chromatischen Gängen, die auch einen Endpunkt haben. Driver verzichtet dabei auf jede vordergründig pianistische «Show», sondern zeigt in nahezu jedem Takt, wie sich die komplexe Faktur gestalten lässt, wie einzelne Linien nicht einfach enden, sondern im Rückblick auf das Vorausgehende auslaufen; dass – mehr noch – ein musikalisches Atmen, eine fast schon rhetorische Interpretation möglich ist, bei der sich spielerische Akzente und emotionale Momente wechselseitig ergänzen und vertiefen.

György Ligeti. Études I (1985), Études II (1988–1994), Études III (1995–2001)
Danny Driver (Klavier)

Hyperion CDA 68286 (2019)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #103 – Ligeti 100