29. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Essl/Kogert – Organo/Logics

Essl/Kogert – Organo/Logics
Essl/Kogert – Organo/Logics

Das Album enthält die gesamten Orgelwerke von Karlheinz Essl, die zwischen 1986 und 2021 entstanden sind und von Wolfgang Kogert an der Kuhn-Orgel der Hofburgkapelle in Wien eingespielt wurden. Punkt! So weit die puren geschichtliche-geographischen Fakten.

Karlheinz Essl kennt sich aus mit computerunterstützter Komposition, er kennt sich aus mit der Musik Anton Weberns. Beides aus dem Innersten und damit operiert in seinem kompositorischen Schaffen nicht nur schattenhaft, sondern offensichtlich. Nicht nur beim titelgebenden Stück «tenet opera rotas. Panlindrome for organ» (2020), das auf das verkapselte Palindrom aus Anton Weberns ästhetischer Denkwelt Bezug nimmt. Oder «WebernSpielWerk. Music for Anton Webern» (2005/2012).

Einige der 10 (plus 1) Stücke sind in der Pandemie-Zeit entstanden, spielen zuweilen direkt darauf an wie bei «vingt secondes» von 2020 auf die 20 Sekunden des nötigen Händewaschens – dauert aber 36 Sekunden (im Original für Akkordeon sind es tatsächlich ziemlich genau 20).

[NB: wo die Nummer 11 (also die plus 1) ist, ist mir schleierhaft, weder in der digitalen Übertragung durch das Label noch auf Spotify ist das Stück auffindbar – aber beim Label col legno.)]

Was bedeutet das für die Hörenden, die dem Organisten Wolfgang Kogert an der Orgel der Wiener Hofburgkapelle ihre Ohren und ihr analytisches Hörvermögen schenken? Erstaunlich viel und mehr als ein mathematisches Mysterium mit Schwellwerken und Werken an der Schwelle zur puren musikalischen Logik esslscher Art.

«Kogert … regte an, ursprünglich für andere Instrumentierungen geschaffene Werke an die Orgel heranzuführen, zu transkribieren oder zu verändern. Diese Vorgehensweise macht ‹ORGANO/LOGICS› auch zu einer kurzen Reise durch Karlheinz Essls Schaffen, in der die Orgel als Erzählstimme wirkt», schreibt Erwin Uhrmann in seinem Einführungstext. Und er beschließt seine Ausführungen mit den Wortem «Man könnte die kompositorische Arbeit von Karlheinz Essl in der Interpretation von Wolfgang Kogert als Dekonstruktion der Orgel begreifen, doch nicht, um diese in ihrer Verfasstheit aufzulösen, sondern um ihr weitere Dimensionen hinzuzufügen. Essl und Kogert haben die Orgel befragt und sie erzählen lassen.»

Da bin ich mir nicht sicher – wenn man nicht mehr weiter weiß, ist «es» dekonstruiert. Aber denkbar. Als nur Hörender komme ich vom anderen Ufer und muss mir zusammenreimen, was ich höre. Das ist beispielsweise das Gefühl rhapsodischer Variationstechnik in der musikalischen Gestaltung bei «tenet opera rotas». Oder im nachfolgenden Stück «après l’avant» rhapsodische Synchronizität, bei der mindestens zwei unabhängig ineinanderlagernde musikalische (?) Ideen die akustische Behausung darstellen (siehe auch hier die interessante Gegenüberstellung von Originalidee und CD-Realisation).

Für mein Gefühl gelingt es Essl, eine kompositorisch-poetische Balance für die Hörenden  einzurichten, bei der objektivierbare Gestaltungsprinzipien auf erreichbares hörbares Nachvollzugsvermögen oder Hörbegleitfähigkeiten hin konzipiert sind – kurz: Ich hatte Hörvergnügen. Man kann sich immer wieder hörend einklinken in die Musik; sie unterfordert nicht, sie überfordert nicht. Darin schließlich ist Essls Musik derjenigen von Webern nahe.

Letzter Punkt: Die CD firmiert als Essl/Kogert. Das dürfte nicht übersehen werden. Es handelt sich bei allem Notenwerk um ein bedeutendes Werk der Interpretation. Darum: «Höre in himmlischer Ruh‘».

Beispiellos herausragend ist die Dokumentation der Aufnahme(n) und Kompositionen durch den Komponisten selbst auf seiner Homepage. Dringende Linkempfehlung.


Karlheinz Essl und Wolfgang Kogert – Organo/Logics [2023]

  • Wolfgang Kogert – Orgel

col legno WWE 1CD 20457 – (VÖ: 19. Mai 2023)

hoerbar_nmz

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