Als Hannoveraner Hofkapellmeister steht Francesco Venturini (1675–1745) im Schatten von Agostino Steffani und Georg Friedrich Händel – wobei auch Steffani gerade erst wiederentdeckt wird. Entgegen seinem italienisch klingenden Namen wurde Venturini in Brüssel geboren, heiratete 1697 in der Residenzstadt an der Leine und wurde ein Jahr später ordentliches Mitglied der Hofkapelle. Schon bevor er 1713 zum Kapellmeister avancierte, war sein Opus 1 in Amsterdam bei Roger erschienen, einem bedeutenden Verlagshaus, was für die positive Aufnahme der Werke unter den Zeitgenossen spricht. Doch auch heute noch verblüffen Venturinis Concerti: die geradzahligen folgen dem italienischen Stil, die ungeradzahligen sind dem französisch goût verpflichtet. Bei den Tanzsätzen findet sich eine tiefergehende Mischung – der «vermischte Geschmack» feiert hier die Überwindung künstlich gezogener Grenzen.
Anne Marie Harer und das Ensemble la festa musicale erweisen sich auf diesem Album in diesem Sinne als erstklassige Grenzgänger, die ohne jede Zuspitzung die Unterschiede ausspielen, vor allem aber hinsichtlich der Klangfarbe Akzente setzen – vom Sturmpfeifen bis hin zu einem Spiel der Klangfarben in op. 1/2. Anderes ist allein durch die Verwendung von Blockflöten in einem höchst eleganten melodischen Kontext gedanklich jenseits des Rheins angesiedelt. Erst bei mehrmaligem Hören legen sich die Ohren die Akustik zurecht, bei der das geschmackvoll hinzugefügte Schlagwerk sehr präsent ist, manches aber wie im Concerto a-Moll in der Aufstellung unausgewogen anmutet. Dennoch hat mich das Album überzeugt. Die Werke wie auch ihre Interpretation machen einen Komponisten lebendig, der es in der norddeutschen Tiefebene verstand, die europäischen Stile seiner Zeit gegeneinander und miteinander zu denken.
Francesco Venturini. Concerto da camera a-Moll op. 1/2, Concerto da camera B-Dur op. 1/11, Ouverture à 5 e-Moll, Concerto à 6 A-Dur, Concerto da camera g-Moll op. 1/9
la festa musicale
audite 97.775 (2019)