7. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Max Bruch / Lieder

Max Bruch / Lieder
Max Bruch / Lieder

Schon Max Bruch selbst war von dem Erfolg seines Violinkonzerts genervt. Aus Italien schrieb er seiner Familie, dass ihm quasi an jeder Ecke mit einer Violine aufgelauert werde. Dabei hatte er auch noch zwei andere Konzerte für dieses Instrument geschrieben, darüber hinaus auch noch Opern, Sinfonien, Kammermusik – und reichlich Lieder. Nun hat es diese Gattung, die sich einst einer hohen Reputation im privaten Musizieren erfreute, nicht mehr ganz so leicht, auch wenn viele alte Notendrucke besser zugänglich geworden sind. Im realen Musikleben (live und auf CD) werden am Ende doch nur Schubert, Schumann, Brahms, Wolf, Mahler und Strauss gefordert. Das ganze Repertoire, was dazwischen liegt, wird offenbar als Risiko empfunden – für die eigene Karriere oder hinsichtlich der vermuteten Akzeptanz beim Auditorium. Dabei sollten versierte Sänger:innen keineswegs das vermeintlich «kleine» Repertoire unterschätzen, das nicht nur wunderbare Ergänzungen zu thematisch gebundenen Programmen bereithält, sondern auch selbst überzeugen kann. In diesem Fall bot der 100. Todestag (2020) den Anlass für ein ausgesprochen interessantes Album mit Liedern und Gesängen, insgesamt 20 Nummern, da­runter die »Siechentrost«-Lieder op. 54 (mit obligater Violine und zusätzlichen Vokalstimmen). Max Bruch erweist sich dabei als eigenständig im Tonfall, ohne den Hang zu einer geradlinigen Rückversicherung bei Schubert oder Schumann, aber auch ohne die glühende Saftigkeit eines Brahms. Vielleicht wäre es daher an der Zeit, das Lied des 19. Jahrhunderts in seiner ganzen Fülle und Vielfalt ge­nauer zu befragen.

Rafael Fingerlos jedenfalls sieht in seiner sehr ernsten Annä­herung an diese fernen Gesänge keine Gefahr, sondern eine Chance: Abseits der ewig gleichen Tracklisten (»Winterreise«!) wirkt hier alles frisch und seltsam unverbraucht, auch weil Fingerlos sich der Gesänge mit Ernst und gestalterischem Willen annimmt (präsent unterstützt durch Sascha El Mouissi am Klavier). Am Ende ist die Produktion ein dreifaches Plädoyer: für einen noch immer seltsam »unerhörten« Komponisten, für ein fast verschollenes Repertoire einer wahrlich romantischen Gattung – und für den Mut, sich von guter Musik begeistern zu lassen.


Max Bruch: Lieder

  • Goldne Brücken op. 15/4,
  • Dein gedenk’ ich Margaretha op. 33/3;
  • Tannhäuser op. 17/8,
  • Der Landsknecht op. 18/22,
  • Ein Mädchen und ein Gläschen Wein op. 97/5,
  • Altes Lied op. 7/1,
  • Mein Liebchen naht op. 97/1,
  • Siechentrost-Lieder op. 54,
  • Von den Rosen komm’ ich op. 17/4,
  • Klosterlied op. 17/10,
  • An die heilige Jungfrau op. 17/1,
  • An die heilige Jungfrau op. 18/33,
  • An den Jesusknaben op. 17/3,
  • Im tiefen Thale op. 15/3,
  • Um Mitternacht op. 59/11,
  • Durch die wolkige Maiennacht op. 97/2

Rafael Fingerlos (Bariton), Sascha El Mouissi (Klavier), Benjamin Herzl (Violine), Cornelia Zink (Sopran), Magdalena Rüker (Mezzo), Bernhard Berchtold (Tenor)

cpo 555 422-2 (2020)

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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