9. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Johann Hermann Schein / Capricornus Ensemble

Johann Hermann Schein / Capricornus Ensemble
Johann Hermann Schein / Capricornus Ensemble
Fast könnte man vermuten, dass die Weihnachtszeit vor allem durch Musik des Barock bestimmt wird. Tatsächlich klingen gerade die Musiken aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts besonders festlich, wenn dort das Jesuskind mit Pauken und Trompeten, den herrschaftlichen instrumentalen Insignien, als «Himmelsfürst» empfangen wird. Man bedenke dann auch die Eröffnung des Bach’schen Weihnachtsoratoriums, bei dem die weltliche Kantate «Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!» parodiert wird (ihr also ein geistlicher Text unterlegt wurde). Bei der Musik von Johann Hermann Schein (1586–1630) darf man sich nochmals um 100 Jahre zurückdenken.

Auch Schein war Thomaskantor, auch er wurde von aktueller Musik aus Italien inspiriert. Bei Bach war es das instrumentale Concerto, bei Schein der Basso continuo, der nun dem Gesang ein treffliches harmonisches Fundament verlieh. Aus Scheins reichem Schaffen bzw. den gedruckten Sammlungen seiner Werke haben Henning Wiegräbe und das Capricornus Ensemble Stuttgart eine sehr stimmige Auswahl von Sätzen eingespielt, die dem Advent und Weihnachten zugeordnet sind. Dabei fasziniert die noch immer modern anmutende flexible Faktur, die hier mit einer sehr bunten Mischung vokaler und instrumentaler Besetzungen für sich einzunehmen weiß: mit Sopran und Tenor, Violine, Violoncello, Posaunen, Erzlaute und Orgel. Die Sätze werden dabei nicht nur kammermusikalisch als Andacht musiziert, sondern auch sehr angenehm direkt und klar zeichnend eingefangen, so dass man der Qualität der Kompositionen auch in jedem Takt gewahr wird. Ein Juwel unter den Weihnachts-Scheiben.

Ein Kind geborn zu Bethlehem
Puer Natus in Bethlehem, aus: Cantional, oder Gesang-Buch Augspurgischer Confession (Leipzig, 1627); Samuel Scheidt. Ein Kind geborn zu Bethlehem (SSWV 292), aus: Geistliche Konzerte III (Halle 1635); Johann Hermann Schein. O Maria, gebenedeiet bist du unter den Weibern, aus: Opella nova (Geistliche Konzerte, Leipzig 1626); Nun komm der Heiden Heiland, aus: Opella nova (Geistliche Konzerte, Leipzig 1618), sowie aus: Cantional, oder Gesang-Buch Augspurgischer Confession (Leipzig 1627); O Jesulein, mein Jesulein, aus: Opella nova (Geistliche Konzerte, Leipzig 1626); Uns ist ein Kind geboren, aus: Opella nova (Geistliche Konzerte, Leipzig 1626); Lobt Gott, ihr Christen allzugleich, aus: Opella nova (Geistliche Konzerte, Leipzig 1626), sowie aus: Cantional, oder Gesang-Buch Augspurgischer Confession (Leipzig, 1627); Quem vidistis pastores, aus: Cymbalum Sionium (Cantiones Sacrae, Leipzig 1615); Maria, gegrüsset seist du, Holdselige, aus: Opella nova (Geistliche Konzerte, Leipzig 1626); Vom Himmel hoch da komm ich her, aus: Opella nova (Geistliche Konzerte, Leipzig 1618), sowie aus: Cantional, oder Gesang-Buch Augspurgischer Confession (Leipzig, 1627); Magnificat anima mea Dominum, aus: Opella nova (Geistliche Konzerte, Leipzig 1626)
Capricornus Ensemble Stuttgart, Henning Wiegräbe

Coviello COV 92320 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 5 in Michael Kubes HörBar #105 – Weihnachten