10. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Jan Ladislav Dussek

Jan Ladislav Dussek
Jan Ladislav Dussek

«Jene Musik, die wir die klassische zu nennen gewohnt sind, habe ich als Kind kennengelernt durch Vierhändigspielen.» So notierte es Theodor W. Adorno im Jahre 1933 in seinem Essay Vierhändig, noch einmal. Tatsächlich lebten viele Opern, Sinfonien und auch Streichquartette im bürgerlichen Salon oder in der Guten Stube auch noch nach der Erfindung der mechanischen Reproduzierbarkeit von Musik in solchen Bearbeitungen fort, die mit 20 Fingern zum Klingen gebracht werden konnten – zur Vorbereitung eines Konzertbesuchs oder auch nur, um an den großen Ideen allerorten teilzuhaben. Heute jedoch steht es um die vierhändige Klavierliteratur, auch um die originale, auffällig schlecht: Vor allem Schubert (Fantasie f-Moll, Grand Duo, Märsche…) ist noch zu hören, auch etwas Mozart, vieles andere ist hingegen nahezu vollständig vergessen.

In diesem Sinne bietet das vorliegende Album mit Musik von Jan Ladislav Dussek (1760–1812) reichlich Überraschungen – wie Dussek schon dem Namen nach überhaupt wohl nur wenigen bekannt sein dürfte. Der umtriebige, durch ganz Europa reisende Komponist und Virtuose hinterließ vor allem in London Spuren, später bei Prinz Louis Ferdinand von Preußen, schließlich in Paris. Die eingespielten Werke stammen entweder aus der Zeit um die Jahrhundertwende (op. 32 und op. 48), die drei Fugen op. 64 und drei Sonaten op. 67 werden auf ca. 1809 datiert. Schon die Fugen klingen nicht durchgehend «gelehrt» (und belegen dennoch herausragende satztechnische Kenntnis), mehr aber noch verblüffen die Sonaten mit ihrem geradezu romantischen Tonfall, der einen schon an Schubert erinnert (was aber auch ein historischer Trugschluss sein kann). Dussek gewinnt damit auch vierhändig wieder an Präsenz – zumal mit solch bezaubernden, sich auf die Eigenart der Musik einlassenden Interpretationen wie vom Duo Pleyel. Es macht auch seinem Namensgeber Ehre, hier auf einem Instrument aus der Pariser Werkstatt von 1848.

Jan Ladislav Dussek. Complete original works for piano four-hands
Grand Overture C-Dur op. 32; Fuge D-Dur op. 64/1; Sonate C-Dur op. 67/1; Fuge g-Moll op. 64/2; Sonate F-Dur op. 67/2; Fuge F-Dur op. 64/3; Sonate B-Dur op. 67/3; Duo à quatre mains C-Dur «Grande Sonate« op. 48
Duo Pleyel; Alexandra Nepomnyashchaya, Richard Egarr

Linn CKD 642 (2019)

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #076 – vierhändig