6. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Tournament for Twenty Fingers

Tournament for Twenty Fingers
Tournament for Twenty Fingers
Ein Album, das die ästhetische Zerrissenheit des 20. Jahrhunderts ganz unprätentiös vierhändig auf einem oder zwei Flügeln dokumentiert. Denn wo einst andernorts radikale Avantgardismen proklamiert wurden, gab es (zumal in Großbritannien) Komponisten, die die Brücken in die Vergangenheit nicht einrissen, sondern über diese mit gutem Gepäck und sehenden Auges in die Zukunft gingen. Dass etwa Lennox Berkeley (1903–1989) noch 1954 eine Sonatina in Es-Dur komponierte, mag ebenso erstaunen wie die Selbstverständlichkeit, mit der er seine angeblichen, vermeintlichen oder auch nur sehr eigenwillig gesetzten «seriellen» Variationen über ein eigenes Thema (1968) nahtlos in die eigene, freitonal geprägte Sprache integrierte.

Doch auch die anderen Werke zeigen, dass auf der Insel die Uhren schon zu jener Zeit etwas anders gingen – auch wenn es für die Komponisten meist nicht zum großen internationalen Wurf reichte. Aber auch damit ist wieder so eine unbeantwortete musikhistoriographische Frage angeschnitten, die einen auch bei der Sonate (1950) von Richard Arnell (1917–2009) verfolgt. Kein Wort zum eröffnenden Beethoven-Zitat und weiteren Allusionen im Booklet, dafür aber ein wahrhaft intellektuelles Hörvergnügen zwischen Vergangenheit und einer einstigen Gegenwart. Gefälliger und kurzweiliger ist das Tournament for Twenty Fingers (1952/54) von Stephen Dodgson (1924–2013), das auch das Cover des Albums anregte. Ohne Exotismen kommen auch die originellen Stücke auf den weißen Tasten von Constant Lambert (1905–1951) aus, die ganz im Gegensatz zu seinem tragischen Ende stehen. Von Emma Abbate und Julian Perkins in Ton und Interpretation differenziert eingespielt, bleibt am Ende doch ein neugieriges Fragezeichen: Wer hat einst diese zeitgenössischen Werke in einer damals fast vergessenen Besetzung gespielt?

Tournament for Twenty Fingers.
Lennox Berkeley. Palm Court Waltz op. 81/2; Sonatina Es-Dur op. 39; Thema und Variationen op. 73; Richard Arnell. Sonatina op. 61; Stephen Dodgson. Tournament for Twenty Fingers; Sonata; Constant Lambert. Trois Pièces nègres pour les touches blanches
Emma Abbate, Julian Perkins (Klavier)

BIS-2578 (2020)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 5 in Michael Kubes HörBar #076 – vierhändig