8. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Album for the Lute

Album for the Lute
Album for the Lute
Bei alten Manuskripten ist es mitunter wie mit archäologischen Fundstücken: Wo die Herkunft nicht sauber dokumentiert ist, da verliert sich bei der Frage nach der Provenienz rasch die Spur. So auch bei einem Manuskript mit Lautenmusik aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, das einst Teil der legendären Sammlung von Werner Wolffheim war. Als dieser verstarb, kam 1928/29 die Bibliothek unter den Hammer; der zu den Auktionen erschienene imposante Katalog gibt bis heute immerhin ein Vorstellung von der Fülle und Qualität dieser Collection. Die Handschrift mit Lautenmusik wurde damals von Louise Hanson-Dyer erworben (die Begründerin der unvergessenen Éditions de l’Oiseau-Lyre) und befindet sich heute in die Bibliothek der Universität Melbourne (Australien).

Dass nun ausgewählte Stücke aus der Tabulatur erstmals überhaupt eingespielt wurden, ist Bernhard Hofstötter zu verdanken, der auch zu Wolffheim einen biographischen Bezug hat: Beide hatten sich dem Jura-Studium verschrieben, erlagen dann aber (auf jeweils unterschiedliche Weise) «Frau Musica». Obwohl alle Werke (meist stilisierte Tanzsätze) in der Barocklauten-Tonart D-Dur stehen, zeigt das Album eine maximale Vielfalt unterschiedlicher Stile und Zugänge samt «Doubles». Das allermeiste ist anonym überliefert, das wenige namentlich Zugewiesene verweist auf eine Herkunft aus dem Umkreis des Habsburger Hofes. Um die Auswahl zu gliedern, hat Hofstötter drei längere Ciaconas (in anderen Tonarten) interpoliert. Sein Spiel ist souverän und verleiht auch den kleinsten Nummern eine Identität. Pluspunkt: ein Booklet, das ganz verschiedene Aspekte und Kontexte rund um das Album anspricht. Viele kleine Entdeckungen unter dem großen Label «World Premiere Recording».

Album for the Lute
Achaz Casimir Hültz. Gavotte – La Double, Sarabande, Gigue – La Double – La Double allegro – La Double; Esaias Reusner. Allemande – Double de la Précédente; Germain Pinel. Sarabande – La Double; Johann Heinrich Schmelzer. Ciaconna in A; Jean Berdolde Bernhard Bleystein de Prague. Adieu de sa maîtresse – La Double – Autrement; anonym überlieferte Kompositionen
Bernhard Hofstötter (Barocklaute)

TYXart TXA 22172 (2020)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #089 – Premiere Recordings