21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

The British Line

The British Line
The British Line
Bei manchem Album kann man sich über die angegebene Spielzeit wundern. Oft genug ist sie mit nur knapp einer halben Stunde (!) verstörend kurz, viel zu selten geht sie mit mehr als 80 Minuten an die äußersten Grenzen des technisch Machbaren. Die letzte der 16 CDs dieser «britischen» Box erreicht tatsächlich nahezu diese Marke – und sie wird vielleicht die am meisten aufgelegte sein: die Last Night of the Proms der 100. Saison. Was für ein wahrlich britisch-englisches Spektakel, dessen ungebrochener Nationalstolz den Kontinental-Europäer tief beeindruckt – und nachvollziehbar macht, warum trotz des winzigen Stimmenvorsprungs der «Brexit» so enthusiastisch gefeiert wurde. Gleichwohl wage ich zu behaupten: Die Katerstimmung wird noch kommen, denn nur gemeinsam ist und bleibt Europa trotz unterschiedlicher Sprachen und Kulturen stark. Dennoch: ein wenig von der Emphase bei «Land of Hope and Glory» stünde dem gesamten Kontinent gut an.

In England (und darüber hinaus) darf man sich jedenfalls einer wirklich beeindruckenden sinfonischen Tradition erfreuen. Mit welchen zeitlichen Dimensionen dabei zu rechnen ist, zeigt die Rückseite dieser imposanten Box: 365 Minuten Elgar und 441 Minuten Vaughan Williams zeigen schon allein, welch kompositorischer Ertrag hier versammelt wurde. Freilich: die Zusammenstellung, die unter dem Titel The British Line. A Celebration of British Music firmiert, referiert nicht nur Höhepunkte des Repertoires, sondern offenbar auch den vorhandenen Bestand an Einspielungen mit dem BBC Symphony Orchestra unter Sir Andrew Davis. Aber wie so häufig bei derartigen Produktionen bleibt sowohl der dramaturgische Ansatz wie die kommerzielle Strategie im Dunkeln – zumindest ohne ein verantwortliches Vorwort im beigefügten Booklet. So ließe sich bei dem einen oder anderen Werk vielleicht eher an eine andere Besetzung / Einspielung denken; hier aber steht offensichtlich ein Teil des Lebenswerks eines Dirigenten im Mittelpunkt, der für etwas mehr als ein Jahrzehnt (1989–2000) auch das BBC Symphony Orchestra prägte.

PS. Man sollte sich nicht unkritisch der entsprechenden Spotify-Playlist zur «Last Night» hingeben. Zwei Tracks fehlen ganz, einer wurde umgestellt.

Benjamin Britten. The Young Person’s Guide to the Orchestra op. 34; Variations on a Theme by Frank Bridge op. 10; Four Sea Interludes op. 33a aus Peter Grimes; Passacaglia op. 33b aus Peter Grimes – Frederick Delius. Paris, The Song of a Great City; In a Summer Garden; Brigg Fair; The Walk to the Paradise Garden aus A Village Romeo and Juliet; On Hearing the First Cuckoo in Spring; Summer Night on the River – Edward Elgar. Symphony No. 1 op. 55; Pomp and Circumstance, Marches No. 1, 3, 4; In the South op. 50; Symphony No. 2 op. 63; Cockaigne-Ouverture op. 40; Introduction and Allegro for Strings op. 47; Serenade for Strings op. 20; Enigma Variations op. 36; The Music Makers op. 69; Dream Children op. 43; Elegy for Strings op. 58; Sursum corda op. 11; Sospiri op. 70; Two Pieces op. 15; Salut d’amour op. 12; Falstaff op. 68; Romance op. 62; Incidental Music and Funeral March op. 42/1; Froissart op. 19 – Gustav Holst. The Planets op. 32; Egdon Heath op. 47 – Michael Tippett. Concerto for Dpuble String Orchestra; Fantasia Concertante on a Theme of Corelli; Ritual Dances from The Midsummer Marriage – Ralph Vaughan Williams. Symphonies No. 1–9; Fantasia on a Theme by Thomas Tallis; The Lark Ascending; Fantasia on Greensleeves; The Wasps-Overture; Job, A Masque for Dancing – Last Night of the Proms – The 100th Season
Evelyn Glennie (Marimba), Thomas Hampson (Bariton), Tasmin Little (Violine), Jean Rigby (Mezzo), Amanda Roocroft (Sopran), Patricia Rozario (Sopran), Graham Sheen (Fagott), Bryn Terfel (Bariton), BBC Symphony Chorus, BBC Symphony Orchestra, Andrew Davis

Warner 190295453954 (1990–2002)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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