Unbestreitbar berückt die Aufnahme aus dem Jahre 2017, und sie vermittelt auch ein Stück interpretatorische Authentizität. Dennoch schleichen sich von Präludium zu Präludium Zweifel ein. Lassen sich Kompositionen, die original für das Violoncello bestimmt sind, wirklich umfänglich in Ton und Charakter auf eine Violine übertragen? Zunächst sollte man sich daher bewusst machen, welche Klangregionen das Cello zu durchschreiten vermag: von der tiefen, sonoren C-Saite bis weit hinauf in die Tenorlage, in der das Instrument zu singen beginnt. Wie aber mit der Violine verfahren, die auf ihrer G-Saite allenfalls schattig klingt, auf der E-Saite aber in höheren Lagen eher brilliert als kantabel anschlägt? Genau hier unterscheidet sich Kremers Transkription vom Original – und trotz allen Engagements und interpretatorischen Vermögens fallen auf diese Weise wesentliche Farb-Elemente der Komposition schlichtweg aus. Eine Bewertung fällt daher schwer, denn sie hätte wohl alle Aspekte zu berücksichtigen. Mir selbst liegt das «Werk» immer am nächsten – und so blieb ich dann eher an den zum Vergleich herangezogenen Einspielungen des Originals hängen…
Mieczysław Weinberg. 24 Präludien für Violoncello solo op. 100 (1968), arr. für Violine von Gidon Kremer
Gidon Kremer (Violine)
accentus ACC 30476 (2017)