2. Mai 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
1908 / Valentina Lisitsa

1908 / Valentina Lisitsa

Wie politisch darf oder muss Kunst sein? Wie politisch Musik oder ihre Interpreten? Der lange Blick zurück in die Geschichte lehrt dabei einiges, spätestens seit der französischen Revolution: Die Kunst, die bis heute blieb, steht auf der Seite der Entrechteten, der Schwachen, der Angegriffenen. Umjubelt wurde Wellingtons Sieg im tönenden Gemälde von Beethoven, ebenso das berühmte 1812 von Peter Tschaikowsky – in beiden Fällen ging es gegen den machtgierigen, Europa aus den Angeln hebenden Napoleon und seine Truppen. Im 20. Jahrhundert sind es dann Kompositionen, die ungerechte Kriege oder Anschläge

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1939 / Fabiola Kim

1939 / Fabiola Kim

Es war ein Schicksalsjahr für Europa und für die ganze Welt. Im Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 kulminierte das weltpolitische Crescendo der beiden vorangegangenen Jahrzehnte. Doch hat sich diese Entwicklung auch in der Musik des Jahres 1939 gespiegelt? Eine Frage, die unweigerlich über diesem dramaturgisch interessanten Album schwebt – und die sich wohl nur in Bezug auf das Concerto funèbre von Karl Amadeus Hartmann eindeutig beantworten lässt. Tatsächlich waren in den 1930er Jahren gleich mehrere herausragende Werke entstanden – hier nur der Versuch einer unvollständigen Liste mit

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Hellendaal / La Sfera Armoniosa

Hellendaal / La Sfera Armoniosa

Um es gleich zu sagen: Diese Live-Einspielung (ein Konzertmitschnitt offenbar ohne jede Nachproduktion) klingt besser als so manche zusammengeschnittene Studioaufnahme. Es muss die Unmittelbarkeit des Moments sein, das Wissen, nichts ausbessern zu können und trotzdem das musikalische «Risiko» einzugehen, das diese und vergleichbare Produktionen aus dem Vielerlei der Neuveröffentlichungen hervortreten lässt. Ja, es gibt einige Passagen, die ein Beckmesser sich noch souveräner, noch perfekter vorstellen kann – zumal wenn ein Ensemble wie La Sfera Armoniosa so kenntnisreich und gut aufeinander eingespielt agiert. Nun bin ich nicht Beckmesser; ich freue mich

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Venturini / la festa musicale

Venturini / la festa musicale

Als Hannoveraner Hofkapellmeister steht Francesco Venturini (1675–1745) im Schatten von Agostino Steffani und Georg Friedrich Händel – wobei auch Steffani gerade erst wiederentdeckt wird. Entgegen seinem italienisch klingenden Namen wurde Venturini in Brüssel geboren, heiratete 1697 in der Residenzstadt an der Leine und wurde ein Jahr später ordentliches Mitglied der Hofkapelle. Schon bevor er 1713 zum Kapellmeister avancierte, war sein Opus 1 in Amsterdam bei Roger erschienen, einem bedeutenden Verlagshaus, was für die positive Aufnahme der Werke unter den Zeitgenossen spricht. Doch auch heute noch verblüffen Venturinis Concerti: die geradzahligen

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Vivaldi / Giordano Antonelli

Vivaldi / Giordano Antonelli

Es gab eine Phase der historisch informierten Aufführungspraxis, in der einige Ensembles und Orchester viele Werke als quasi paradigmatisch, ja entzeitlicht präsentierten, für mich eine ideale Sichtweise auf diese Partituren. Das hat sich im 21. Jahrhundert verändert. Waren es damals nur wenige Namen, die für eine auffällig eigenwillige und dennoch fundiert durchdachte Interpretation standen, so hat sich heute eher das Blatt gewendet – fast möchte ich sagen, dass es per se um Originalität und Auffälligkeit geht. In diese Richtung geht auch das Album mit Giordano Antonelli und der Musica Antiqua

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Concertos / Ensemble Diderot

Concertos / Ensemble Diderot

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts setzt sich das italienische Concerto rasch in ganz Europa durch. In ganz Europa? Nicht unbedingt in Frankreich und schon gar nicht in Paris, wo ihm gegenüber damals größte ästhetische Vorbehalte geäußert werden. Denn mit der geforderten Virtuosität drohte die so wichtige Eleganz verloren zu gehen, die freilich Hand in Hand ging mit den (so ist es im Booklet nachzulesen) mitunter spieltechnisch begrenzten Fähigkeiten der Ausführenden. Mit diesem Album liegen nun einige der wenigen «italienischen» Concerti aus französischer Feder in einer sehr geschmackvollen Einspielung vor. Wieder

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Vivaldi / Le Concert de la Loge

Vivaldi / Le Concert de la Loge

Die sich mit beeindruckender Kontinuität seit Jahren entwickelnde Vivaldi-Edition des französischen Labels Naïve überrascht auch in der 69. Folge. Das liegt zum einen an den verschiedenen Ensembles, die sich auf immer wieder neue und andere Weise dem schier unendlich anmutenden Werkbestand nähern – und dabei recht unterschiedliche Perspektiven entwickelt haben. In diesem Fall (es ist derweil die 10. Folge mit Violinkonzerten) ging der Stab an Julien Chauvin und das Ensemble Le Concert de la Loge – wahrlich keine schlechte Wahl. Und ich gestehe gern, dass das Ensemble bei mir schon

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Patagonia Express

Patagonia Express

Je südlicher man sich auf den amerikanischen Doppelkontinent denkt, desto größer wird die Sehnsucht. Patagonien steht für weite Landschaften und fast unendlich scheinende Wegstrecken hin zu schroffen Gipfeln, mächtigen Abbruchkanten und Eisbergen, die Pinguine nicht zu vergessen. Und man erinnert sich an den Old Patagonian Express von Paul Theroux (1979), der den Autor bis ins (vergleichsweise) nördliche Esquel führte – ein Reiseroman wie aus einer anderen Zeit. So melancholisch wie die Musik von Astor Piazzolla. Und damit spricht dieses Album vielleicht eher die individuellen Vorstellungen, Erinnerungen und Träume jedes Einzelnen

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Journeys

Journeys

Wer hat in einem Flughafen nicht schon einmal auf die große Anzeigetafel mit den «Departures» geschaut? Da kann man zwar über den ein oder anderen kurzen «Hüpfer» die Stirn runzeln, bei anderen Städtenamen stellt sich jedoch Fernweh ein. Wenn man jetzt einfach mit einsteigen könnte… Das aber funktioniert in der Realität dann doch nur bei der Deutschen Bahn mit der seit Harald Schmidt legendären «schwarzen Mamba», der BahnCard 100. Dieses Album nun gleicht einer spontanen Weltreise: neun Werke von neun Komponist:innen von insgesamt fünf Kontinenten (Südafrika, Slowakei, Kanada, Ägypten, Chile,

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Songs of Travel

Songs of Travel

Diese Lieder von Ralph Vaughan Williams haben selbst eine längere Reise hinter sich gebracht: Ein erstes entstand bereits 1901 und wurde ein Jahr später in einer Zeitschrift(!) veröffentlicht. 1904 folgten sieben weitere Lieder, von denen jedoch zunächst nur drei gedruckt wurden, erst in einer weiteren Auflage dann auch mit allen anderen – unter Ausnahme des zyklisch abrundenden letzten, das lange als verloren galt und erst im Nachlass wieder aufgefunden wurde. Wohl selten haben Gesänge, zumal unter dem Titel Songs of Travel, solche Umwege genommen. Dabei handelt es sich um Lieder,

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Time Diaries

Travel Diaries

Reisetagebücher sind immer eine interessante Lektüre. Sie berichten über unerwartete Begegnungen, manchmal über böse Überraschungen, in der Regel aber auch über Dinge des Alltags, die sonst kaum einmal im Fokus stehen. Diese Umstände machen daher noch heute die Briefe von Wolfgang Amadeus Mozart an seinen Vater (aus München, Mannheim, Paris) besonders lesenswert – während in der Gegenwart wohl kaum noch jemand etwas festhält, da ja auch die mehr bildlichen «Statusmeldungen» nach 24 Stunden wieder gelöscht werden. Wie aber ein tönendes Tagebuch des Reisens aufzeichnen und festhalten? Das Münchner Goldmund Quartett

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Time Travel

Time Travel

Hier darf man sich getrost aussuchen, ob man im Lauf der Jahre den Anschluss verpasst oder das Personal Verspätung aus der vorherigen Fahrt hat. Ja, auch das musikalische Reisen ist nach wie vor ein Abenteuer. Und wer sein Album Time Travel nennt, muss sich am letzten neuzeitlichen Abenteuer messen lassen. Ich muss aber leider gestehen: Diese Produktion lässt mich kalt wie der tiefste Winter. Die Idee, Musik von Purcell und den Beatles zu verbinden und mitunter klanglich neu zu deuten, hat zwar einen gewissen Reiz – und wer genau hinhört,

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