Die mehrfache Teilung, die vorübergehende Auslöschung der stolzen Nation von der europäischen Landkarte und die Errichtung eines künstlichen Kongress-Gebildes machte die polnische Frage schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer europäischen – politisch wie musikalisch. Besonderen Ausdruck fand sie in den zahlreichen Polonaisen, die in Paris, Wien und anderswo komponiert und gedruckt wurden. Zugleich war es der charakteristische Rhythmus dieses polnischen Schreittanzes, der über einen bestimmten Zeitraum, von der Zensur nicht greifbar, wie ein Sigel wirkte. Heute ist von dieser einstigen Symbolik nichts mehr zu spüren, und das Repertoire scheint auf Chopin verengt.
Einen viel weiteren Blick ermöglichen nun Marek Toporowski und Irmina Obońska, die auf ihrem Album gleich vier großformatige, im Ton fast sinfonische Polonaisen des Beethoven-Vertrauten Ferdinand Ries (1784–1838) nebst vier weiteren Werken des Politikers und Diplomaten Michał Keofas Ogińaki (1765–1833) versammeln, der bereits aus Anlass seiner Emigration 1794 ein Werk mit dem Beinamen «Abschied vom Vaterland» komponiert hatte. Eingespielt wurde alles (wie auch die ergänzende Grande Sonate von Jan Ladislav Dussek) auf einem Flügel von Traugott Berndt, der auf den Zeitraum 1845/47 datiert werden kann. Das raumgreifende Instrument (noch mit lederbezogenen Hämmern) klingt im mittleren Register etwas verschattet, überzeugt aber mit seinen sehr angenehmen Höhen.
Ferdinand Ries. Polonaise Nr. 1 op. 41, Polonaise Nr. 2 op. 93, Polonaise Nr. 3 op. 138, Polonaise Nr. 4 op. 140; Michał Keofas Ogińaki. Polonaisen Nr. 11, 6, 8 und 4 aus der Collecton de Polonaises (1828); Jan Ladislav Dussek. Duo à quatre mains C-Dur «Grande Sonate« op. 48
Marek Toporowski, Irmina Obońska, Klavier
DUX 1749 (2021)