26. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Eloïse Bella Kohn

Eloïse Bella Kohn
Eloïse Bella Kohn
Große Werke fordern Konzentration. Und so ist es wohl auch kein Wunder, dass als Ergebnis von Lockdown und Konzertpause bei einigen Pianisten und Pianistinnen der Wunsch Realität wurde, sich grundsätzlich einmal mit Bachs «Opus summum», der Kunst der Fuge BWV 1080, gedanklich wie interpretatorisch auseinander zu setzen – einem Werk freilich voller Rätsel: angefangen bei der Frage der Abfolge der mit «Contrapunctus» überschriebenen Sätze und der ergänzenden Canones, endend mit dem Geheimnis um die Quadrupel-Fuge (zugespitzt formuliert: ob Bach sie doch schon vollendet hatte oder über ihr tragisch verschied). Aufführungspraktisch ist darüber hinaus offen, welche Besetzung für diese in Partiturform notierte musikalische Enzyklopädie überhaupt vorgesehen war. Einerseits wurden schon zuvor «Clavier-Werke» in vergleichbarer Weise niedergeschrieben, andererseits sollte man die konsequent stimmige Gesamtanlage nicht unberücksichtigt lassen. Der Reiz liegt hier doch eher in der Vielfalt der Möglichkeiten, um unterschiedliche Aspekte auszuleuchten, statt das Kompendium vorschnell wesentlicher Ebenen zu berauben.

Jede Interpretation und Aufführung ist meines Erachtens daher als «Realisation» eines zur kontrapunktischen Abstraktion neigenden Tonsatzes zu bezeichnen, der in seinen verschlungenen Linien eine ebenso überwältigende wie poetische Melodik aufweist. Beide Ebenen im Blick, hat sich Eloïse Bella Kohn bewusst für eine Darstellung auf dem modernen Flügel (einem Yamaha CFX) entschieden – ohne dabei das Pedal zur Erleichterung oder Absicherung zu nutzen. Tatsächlich klingt der Flügel auf diese Weise wie von der Last des 19. Jahrhunderts befreit und bereit für eine unvernebelte Sicht auf die Kunst der Fuge. Allerdings erscheinen mir weder die kantablen Strukturen wirklich herausgehoben noch die Themen im komplexer werdenden Verlauf so berücksichtigt, wie es der kurze Essay im Booklet erwarten lässt. Denn was sich in den ersten Kontrapunkten noch gut umsetzen lässt, wird in dem immer dichter werdenden Stimmgeflecht zu einer heiklen Sache: Wenn sich mehrere Subjekte überlagern, muss man sich auf dem gewählten Instrument dann doch entscheiden, welchem man primär folgt. Steckt also in der Limitierung des Cembalos streng genommen ein Vorteil (sofern man sich überhaupt auf ein Tasteninstrument festlegt)? – Der legendär gewordene Contrapunctus XIV wird übrigens nicht abgebrochen, sondern in einer Ergänzung von Thierry Escaich zu einem Ende geführt, das kompositorisch wieder an den Ausgangspunkt des Werkes zurückführt, mir aber doch zu «pianistisch» anmutet. Technisch gut gearbeitet, ist sie ein eher unauffälliger Beitrag zu der ewigen Kombinations-Diskussion, bei der wir alle hoffentlich noch recht lang von marketingwirksamen KI-Versuchen verschont bleiben werden.

Johann Sebastian Bach. Die Kunst der Fuge BWV 1080, Contrapunctus XIV vervollständigt von Thierry Escaich (2021)
Eloïse Bella Kohn (Klavier)

Hänssler Classic HC 21049 (2021)

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