Wirft man einen Blick in den Katalog, kann leicht der Eindruck entstehen, dass Max Bruch als Sinfoniker eigentlich gar nicht mehr entdeckt werden müsste. Man mag es kaum glauben, wie hochkarätig die oft nicht mehr als CD, aber immerhin im Streaming verfügbaren Aufnahmen besetzt sind. Schon Anfang der 1980er Jahre widmete sich das Gewandhausorchester unter Kurt Masur den drei Sinfonien (Philips), in den 1990er Jahren gefolgt vom Gürzenich Orchester mit James Conlon (EMI) und vor etwas mehr als zehn Jahren von der Staatskapelle Weimar unter Michael Halász (Naxos); hinzu kommen Einzelaufnahmen mit nicht minder prominenten Namen (Richard Hickox, Manfred Honeck, Sir Neville Marriner). Warum aber nur liegen die Partituren so selten oder gar nie auf den Pulten bei live gespielten sinfonischen Programmen? Vielleicht liegt es einfach am dramaturgischen Schlendrian, der Bequemlichkeit der Interpreten und auch der des Publikums. Denn warum sollte man einer Sinfonie von Max Bruch die zweite Hälfte eines Abends überlassen, wenn man diese auch mit einem Werk von Schumann oder Brahms bestücken kann – problemlos, dankbar und ohne Verlust an Reputation?
Wer diese Frage ernsthaft ohne den ironischen Unterton stellt, dem sei die Sinfonie Nr. 1 Es-Dur op. 28 aus dem Jahre 1868 ans Herz gelegt. Sie wirkt auf heutige Ohren wie ein Scharnier zwischen den Werken von Mendelssohn und Schumann auf der einen Seite und denen von Brahms auf der anderen – und dennoch ist tatsächlich durchgehend der Tonfall von Bruch zu erkennen: Eine oft idyllisch fließende Melodik, von ruhigen Harmonien unterlegt, ohne satztechnische Geschäftigkeit, in der Instrumentation etwas kompakt (Schumann ähnlich) aber mit herrlichen Aufschwüngen (Celli, Hörner). Geradezu naturhaft wirkt das frühzeitig vom Komponisten wieder gestrichene Intermezzo (das die Sinfonie zur Fünfsätzigkeit erweitert), das Scherzo lässt indes den Elfenton durchblicken. In ungewohnte Ausdrucksbereiche stößt der langsame Satz vor (Quasi Fantasia. Grave), das Finale trumpft nicht mit letzter Macht auf. Robert Trevino und die auch im Standard-Repertoire verwurzelten Bamberger Symphoniker brechen eine Lanze für das Werk, die zwei späteren Sinfonien und Bruchs weiteres sinfonisches Repertoire – Vorspiele, Ouvertüren etc. aus Oper und Oratorium. Saftig ohne sich zu berauschen, akustisch leider etwas verwaschen, liegt hier ein starkes Plädoyer für einen bekannt-unbekannten Komponisten vor.
Max Bruch: Sinfonien
- Sinfonie Nr. 1 Es-Dur op. 28
- Sinfonie Nr. 2 f-Moll op. 36
- Vorspiel, Trauermarsch und Entr’acte aus der Oper «Hermione» op. 40
- Ouvertüre zur Oper «Loreley» op. 16
- Vorspiel zum Oratorium «Odysseus» op. 41
- Sinfonie Nr. 3 E-Dur op. 51
Bamberger Symphoniker, Roberto Trevino
cpo 555 252-2 (2019)