2. Mai 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
Telemann / Miriways (1728)

Telemann / Miriways (1728)

Die Opern von Georg Philipp Telemann sind noch immer «terra incognita» (Pimpinone vielleicht ausgenommen). Wer aber hätte gedacht, dass der vielfach als «Polygraph» verunglimpfte Komponist während seines langen Lebens für Leipzig, Weißenfels und natürlich die Hamburger «Oper am Gänsemarkt» mehr als 50 Bühnenwerke geschrieben hat? Dass sich zwar vieles nachweisen lässt, sich aber nur weniges erhalten hat, liegt (wie so oft) an der Vergänglichkeit der Institutionen. Zu den erhaltenen Raritäten zählt auch Miriways: 1728 und nochmals 1730 gespielt, wurde der Dreiakter erst wieder 1992 und 2012 in Magdeburg aufgeführt; bei

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Vinci. Gismondo

Vinci / Gismondo (1727)

Max Emanuel Cenčić ist mit dieser Ausgrabung wieder einmal ein großer Coup gelungen: Die Komposition trifft den Kern des Geschehens und spult nicht bloß den Fundus an Topoi ab, die Interpretation zündet durch stimmliche Virtuosität und Gestaltungskraft. Dies gilt nicht allein für Cenčić selbst in der Titelrolle und den heller timbrierten und stimmlich klareren Yuriy Mynenko (Ottone), sondern mehr noch für die Sopranistinnen: Sophie Junker (Cunegonda) mit starkem Legato, Aleksandra Kubas-Kruk (Primislao) dramatisch präsent und Dilyara Idrisova (Giuditta) mit wundervoll beweglicher und warmer Stimme. Der eigentliche Star aber ist für mich das Orkiestra Historyczna unter der Leitung von Martyna Pastuszka. Mal zupackend forsch, mal verspielt lyrisch fließend, klanglich herausragend eingefangen. Dies gilt nicht weniger für Marcin Światkiewicz, der als «maestro al cembalo» mitlesend, denkend und ungekünstelt frei agiert. Ein großer Wurf!

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Mysliveček / Violinkonzerte

Mysliveček / Violinkonzerte

Er war ein Star in seiner Zeit. Spät zur Komposition gekommen (sein Vater stand der Prager Müllergilde vor), übersprang Josef Mysliveček (1737–1781) nach sei­nem eigenen Meisterbrief gleich einige Entwicklungs- und Karrierestufen, um im Alter von 30 Jahren mit einer ersten Opern-Partituren in Italien zu punkten. Die folgenden knapp 14 Jahren sind zunächst voller Ruhm und Ehre, doch konnte er die Gunst des Publikums nicht halten – vielleicht auch, weil Mysliveček kränkelte und sich von gesellschaftlichen Verpflichtungen fern hielt. Wieder ein Opfer der leeren und falschen Konventionen möchte man ausrufen! Leopold

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Schultze / Trattamento dell'Harmonia

Schultze / Trattamento dell’Harmonia

Kaum schöner kann man sich wohl eine «Harmonie-Behandlung» vorstellen, als dies Martin Christian Schultze in seinem Trattamento dell’Harmonia getan hat – ein Komponist, über den nichts weiter bekannt ist als das, was das Titelblatt des 1733 in Paris erschienenen Drucks hergibt und der Mercure de France im März des Jahres bestätigt: «M. Schultze, de Berlin». Doch gehörte er wirklich zu der großen Musikerfamilie, die im 18. und frühen 19. Jahrhundert an der Spree wirkte? Dem als Opus 2 bezeichneten Trattamento gingen bereits zwei Jahre zuvor als «op. 1» sechs Sonaten für Traversflöte

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Fasch / Claviermusik

Fasch / Claviermusik

Seine Büste steht recht prominent vor dem Berliner Maxim Gorki Theater. Doch so wie heute auf den ersten Blick nichts mehr an diesem 1827 eingeweihten Bau an die dort einst beheimatete Sing-Akademie erinnert (seit fast 70 Jahren werden dort zeitgenössische unterhaltende Schauspiele dargeboten), so bringt man mit der für die Bach-Rezeption so wichtigen Institution im ersten Moment wohl eher den Namen von Carl Friedrich Zelter in Verbindung – nicht aber den des wirklichen Gründers von 1791, nämlich den von Carl Friedrich Christian Fasch (1736–1800). Ohne diese Tat wäre Fasch, Sohn

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Steirische Cembalokonzerte

Steirische Cembalokonzerte

Wer erinnert sich nicht an jene Aufnahmen «frühklassischer» Musik, die schon nach nur wenigen Takten deutlich werden ließen, was die Interpreten über den Stellenwert der eingespielten Werke dachten. Lange schon gehört diese Zeit des 20. Jahrhunderts der Vergangenheit an. Und doch ist es nicht allein eine Frage der Aufführungspraxis, sondern auch der inneren Herangehensweise. Nur wenn Zugang und Perspektive stimmen, kann Schönes, Besonderes gelingen. So auch hier bei Cembalokonzerten aus dem steirischen Raum und einem Repertoire, das die Zeiten eher zufällig überdauert hat. Als 1941 auf Schloss Wurmberg (unweit des

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Guillemain / Wilbert Hazelzet

Guillemain / Wilbert Hazelzet

Noch immer fällt es schwer, den zeitlich nicht ganz eindeutig zu bestimmenden Übergang vom musikalischen Barock zur Klassik zu beschreiben. Sind Kompositionen dieser Zeit «galant» im Sinne des Rokoko zu nennen, oder doch mit Blick auf Zukünftiges schon eher als «vorklassisch» einzuordnen? Was ist mit der «Empfindsamkeit» oder dem «Sturm und Drang»? Ganz offensichtlich waren zeitgleich verschiedene Strömungen unterwegs – und zwar je nach Region und Nation. Allein schon die Bach-Söhne zeigen mit ihren stilistischen Eigenarten in vier verschiedene Himmelsrichtungen. Im eleganteren Frankreich war die Situation (wenn auch auf die

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Erling Blöndal Bengtsson

Erling Blöndal Bengtsson

Dieses Doppel-Album setzt einen Schlusspunkt unter eine beeindruckende Reihe mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen des dänischen Jahrhundert-Cellisten Erling Blöndal Bengtsson (1932–2013). Es zeigt zugleich, wie viele und welch großartige Schätze noch in den Rundfunkarchiven der Wiederentdeckung harren, bevor die meist staubig gelagerten analogen Bänder sich gänzlich entladen. Dass hier ein kulturelles Erbe, ein beachtlich großer Teil der Musik- und Interpretationsgeschichte des 20. Jahrhunderts auf Sicherung und Sichtung wartet, ist leicht vorstellbar, nicht aber, auf welch’ unterschiedliche Weise damit umgegangen wird. Hier lohnt die Lektüre des Nachworts von Jesper Buhl – möglicherweise

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Brahms, Piatti / Guido Schiefen

Brahms, Piatti / Guido Schiefen

Alben wie dieses führen immer wieder vor Augen, wie selbstverständlich und selbstgerecht wir heute mit dem Repertoire und den wichtigsten Protagonisten des Musiklebens im langen 19. Jahrhundert umgehen. Die Fokussierung auf einzelne Meister, die Auswahl nur weniger Werke und die nach wie vor höchst präsente Heldenverehrung lassen weit gespannte Netzwerke, ganze Œuvres und den internationalen Austausch im Nebel der Zeit verschwinden. Noch immer wird die Reichweite des (auch institutionellen) Wirkens von Franz Liszt unterschätzt, das früh ausgeprägte öffentliche britische Musikleben auf dem Kontinent nicht wahrgenommen, die Musikkultur des östlichen Kakaniens

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Bacewicz, Penderecki / Roman Jablonski

Bacewicz, Penderecki / Roman Jablonski

Nach einer ersten Folge mit alter und neuer Kammermusik setzt das polnische Label DUX seine Reihe «Polish Cello» mit vorzüglichen Archiv-Aufnahmen von zwei gewichtigen Kompositionen fort – dem jeweils mit «Nr. 2» bezeichneten Konzert von Grazyna Bacewicz (1963) und Krzysztof Penderecki (1982). Ausgewählt wurden erneut Interpretationen mit Roman Jablonski als Solisten, der inzwischen seinen 75. Geburtstag feiern konnte. Es liegt an der aktuellen Katalogpolitik, dass von seinen teilweise bedeutenden Einspielungen derzeit nichts greifbar ist – allen voran das Cellokonzert von Witold Lutosławski. Umso mehr dokumentiert das vorgelegte Album den hohen künstlerischen

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Nørgård, Ruders / Wilhelmina Smith

Nørgård, Ruders / Wilhelmina Smith

Es gibt sie – jene Alben, die einen auch nach längerer Beschäftigung und mehrfachem Hören einigermaßen ratlos zurücklassen. Das kann bei «Klassikern» des Repertoires passieren, bei Raritäten oder auch moderner, wenn nicht gar zeitgenössischer Musik. Man darf sich nie täuschen lassen und von der Interpretation auf die tatsächliche musikalische Qualität der Werke und ihren Ausdruck schließen. So sorgten besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oftmals drittklassige Einspielungen dafür, dass sich Fehleinschätzungen breit machten – vom schwerfälligen, aber kaum zu stoppenden Rollkommando für «festliche Barockmusik» über das selbstgefällig-halbherzige Abspielen

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Schostakowitsch / Marc Coppey

Schostakowitsch / Marc Coppey

Zwei Werke, zu denen sich zahlreichen Einspielungen im Katalog finden. Denn mit seinen Konzerten für Violoncello und Orchester hat Dmitri Schostakowitsch Partituren geschaffen, die (wie viele andere seiner Kompositionen) längst zum festen Repertoire gehören – ein Phänomen, das etwas aussagt über die emotionale Intensität, die unmittelbare Erfahrbarkeit wie auch die motivisch-melodische Griffigkeit seiner Musik. Hier scheint der Komponist gleichsam selbst zu sprechen: durch die Noten selbst, durch den Solopart des Violoncellos, den ersten Solisten (die Uraufführungen spielte der mit Schostakowitsch eng befreundete unangepasste Mstislaw Rostropowitsch), letztlich auch durch das charakteristische

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