3. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Stefan Karl Schmid – You Are The Universe

Stefan Karl Schmid – You Are The Universe
Stefan Karl Schmid – You Are The Universe

Es ist wohl wieder die Zeit für Suiten gekommen. Ein postbarocker Jazz mit isländischem Einschlag bemächtigt sich des Jazz Orchestras, um ein Universum zu schaffen oder zu finden, wie es das nur als nun Immaterielles geben kann. Es musiziert das 19-köpfige Subway Jazz Orchestra unter dessen künstlerischem Leiter Karl Stefan Schmid. Die Suite ist hier keine Folgen von Tänzen, sondern eine Folge in- und auseinanderentwickelter Kompositionsidee mit Zwischenspielen, deren Komposition durch einen Aufenthalt in Island angeregt und angetrieben wurden. Die sogenannten Liner Notes zur Platte zögern nicht mit extremer Emphase:

«Der Titel des Albums You Are The Universe ist eine direkte Ansprache an die Hörerin oder den Hörer. Bevor man auch nur einen einzigen Ton gehört hat, wird man zum Teil der Musik. Damit gibt Schmid ein metaphorisches Versprechen ab, das dann von der Musik eingelöst wird.»

Es geht schlicht lapidar um fast fast Alles! Mindestens aber das Universum.

«Immerhin geht es um nicht weniger als das Universum. Das Universum in uns und das Universum um uns herum. Ein Stück Musik, das, von einem einzelnen Menschen und dessen Wahrnehmung ausgehend, die ganze Welt einfängt und für jede einzelne individuelle Projektionsfläche speziell aufzubereiten scheint. Das muss ein Stück Musik erst einmal schaffen!»

Die Frage stellt sich unweigerlich: Schafft sie das tatsächlich, diese Musik. Ich bin mir da nicht sicher. Schmid selbst fasst sein Vorgehen so zusammen:

«Im Vorfeld der Künstlerresidenz konkretisierte ich meine Vorstellungen zur Musik und dem Gesamtkonzept. Dabei half es mir, bestimmte Regeln und Rahmenbedingungen festzulegen. Ein Grundsatz bestand zum Beispiel darin, die klassische Jazzform von Thema-Solo-Thema zu vermeiden und keine direkten Wiederholungen zu verwenden. Alles entwickelt sich aus einer einzigen kleinen Zelle heraus. Insgesamt werden in der Suite fünf orchestrale Hauptteile durch unterschiedliche Zwischenspiele in reduzierten Besetzungen miteinander verwoben und umrahmt durch einen Prolog sowie Epilog.»

Sicher ist, dass Komposition und Ausführung akkurat sind. Es werden zahlreiche musikalische Ideen aufgesetzt und in Ent- und Verwicklung gebracht. Für mein Gefühl sind es aber zu viele Haupt-, Neben- und Zwischengedanken, ohne dass diese Überfülle dann umschlägt in eine eigene Form musikalischer Gewalt höherer Art. Es puzzelt mehr als dass es formal und spontan bindet. Manche «Zelle» scheint dabei zu verenden.

Die Big Band als Tiger – ein Bild, das Edgar Varese wohl mal so wählte (vielleicht irrt hier die Erinnerung) –, kommt nicht vom Fjord auf den Gletscher. So ein Orchester führt seinen historischen Ballast fast unablösbar unweigerlich mit sich. Das Universum ruckelt und klemmt dann hin und wieder.

Wenn Akkordfortschreitungen linear in mehreren Linien gleichzeitig geführt werden, wird das harmonische Geflecht manchmal im Ergebnis Opfer seiner zerfallenden Substanz. Auch wenn die Idee anders geführt wird, schichtet sich das Ergebnis zum Zufall, was dann kompositorische Evidenz kostet und Spannungsabfall zur Folge haben kann.

Dabei ist die Musik natürlich nicht ohne Farbenwunderreichtum wie besonders im Interlude No. 4 «Erupt» wo die Bläser wie eine Sheng zusammenklingen und das Ganze in einem Ostinatogeflecht von Klavier/Gitarre aufgefangen wird über das sich solitüde Einwebungen schieben und an dessen Ende sich ein Vibraphon-Solo anhängt, das bereits den Anfang des nächsten Suitenteils «You Are The Universe» bildet. Von dort fächert es sich auf in wieder differenten linearen Strukturen. Am Ende kulminiert alles in auseinanderstebenden Akkordballungen, die schließlich zerfallen. Im letzten Stück gelangt das Universum in seine atmende (Un-)Ruhe, die Abklingphase – für mich der schönste Teil der Suite.


Stefan Karl Schmid & Subway Jazz Orchestra – You are the Universe [2023]

  • Stefan Karl Schmid: cl & efx, comp, cond
  • Reeds: Martin Gasser, Johannes Ludwig, Joachim Lenhardt, Matthew Halpin, Fabian Willmann
  • Trumpets: Christian Mehler, Heidi Bayer, Maik Krahl (+efx), Lennart Schnitzler
  • Trombones: Janning Trumann (+efx), Philipp Schittek, Jonathan Böbel/Linus Berg, Tobias Herzog
  • Rhythm: Dierk Peters (vib), Philipp Brämswig (git), Sebastian Scobel (p), Matthias Akeo Nowak (b),
  • Fabian Arends (drums & modular synth)

Tangible Music – TM 017 (VÖ: 16. Juni 2023)

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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hoerbar_nmz

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