Um Hans Werner Henze (1926–2012) ist es in der letzten Dekade eigenartig still geworden – im Konzertsaal wie auf dem um Aufmerksamkeit kämpfenden Tonträgermarkt. Daraus etwaige Rückschlüsse auf die Wirksamkeit seiner Musik zu ziehen, wäre allerdings voreilig. Denn Henze stand politisch wie musikalisch neben der einstigen Avantgarde. Ich erinnere mich gerade jetzt, in diesem Moment, an eine Schulaufführung seines Pollicino Mitte der 1980er Jahre – nicht etwa im Opernhaus, sondern in der schon damals architektonisch offen gestalteten Aula des benachbarten Gymnasium Altenholz-Stift. Vermutlich schrieb ich damals gar meine allererste Musikkritik für unsere Schülerzeitung und sorgte mit unbeholfenen kritischen Kommentaren für Unruhe unter den eigenen Musiklehrern (nicht allen!), die sich in jeder Unterrichtsstunde mit Händen und Füßen wortreich von der neuen und damals noch zeitgenössischen Musik jedweder Form distanzierten. Das ist längst Geschichte. Aber Henze? Was hat seine Musik heute noch zu sagen?
Mehr als man zunächst vermutet: Der einstige Skandal in Donaueschingen um die Nachtstücke und Arien (1957) erscheint heute politisch motiviert als Kampf um die Deutungshoheit. Henze berichtet, dass die mit ihm befreundeten Komponisten Boulez, Nono und Stockhausen entrüstet aufsprangen und den Saal verließen, um die undogmatische Schönheit dieser Musik nicht hören (ertragen?) zu müssen. Dabei ist es gerade Henzes ganz eigene Deutung und Auslegung der Texte von Ingeborg Bachmann, die dieses Werk aus dem Jahre 1957 in seiner emotionalen Verdichtung unsterblich werden ließ. Sind es hier nur die beiden zwei Arien, die wirklich gesungen werden, so handelt es sich bei allen weiteren Kompositionen des Albums um «Lieder ohne Worte», die rein instrumental zu uns sprechen – entweder im Ensemble (Los Caprichos, 1963) oder als Orchester mit Solo-Cello (Englische Liebeslieder, 1984/85). Tatsächlich überzeugt die instrumentale Geste mehr als der Gesang von Juliane Banse, der zudem unverständlich bleibt. Das RSO des ORF zeigt hier wieder einmal seine wahren Qualitäten: im maximalen Verständnis und der wie selbstverständlichen technischen Umsetzung von Musik, die nicht tonal, wohl aber gestisch gebunden ist. Akustisch macht sich das Orchester gerade in den Caprichos ehrlich und überzeugt sowohl individuell wie im Miteinander des weit gedachten Bogens. Musik, die man mehr als nur einmal hören sollte – und muss.
Hans Werner Henze. Nachtstücke und Arien (1957), Los Caprichos (1963), Englische Liebeslieder für Violoncello und Orchester (1984/85)
Juliane Banse (Sopran), Narek Hakhnazaryan (Violoncello), ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Marin Alsop
Naxos 8.574181 (2020)