21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Louise Farrenc

Louise Farrenc
Louise Farrenc

Louise Farrenc (1804–1875) zählt zu den wenigen Komponistinnen des 19. Jahrhunderts, die nicht nur mit Liedern sowie Klavier- und Kammermusik reüssierten, sondern sich auch mit der Sinfonie schöpferisch auseinandersetzten. Dabei ist es besonders bemerkenswert, dass ihre erste Sinfonie c-Moll op. 32 (1841) zwar in Paris zur Aufführung abgelehnt wurde, jedoch 1845 in Brüssel unter François-Joseph Fétis aus der Taufe gehoben wurde. Hingegen erfolgte die Uraufführung der dritten Sinfonie g-Moll op. 36 (1849) dann doch ohne Einwände und mit großem Erfolg in einem der Abonnementskonzerte der Société des concerts. Zehn Jahre später gab Louise Farrenc offenbar das Komponieren auf – die Gründe dafür sind unbekannt, dürften aber entweder im biographischen Bereich (Tod der Tochter) liegen oder im allgemeinen stilistischen Umbruch in der Jahrhundertmitte.

Denn beide Sinfonien stehen trotz ihres bisweilen romantischen Ausdrucks so deutlich wie bruchlos in der Tradition Beethovens, wie sie am Conservatoire gepflegt wurde. Daraus mag sich auch die Eigentümlichkeit der recht obligaten Behandlung der Bläserstimmen herleiten, zudem setzen manche Harmoniefolgen und orchestrale Gesten immer wieder konkrete Assoziationen an die eine oder andere Komposition des «Titanen» frei. Wer nun aber denkt, Louise Farrenc hätte nicht eigenständig geschrieben, täuscht sich. Viel eher muss sie mit außerordentlicher Tiefe die Partituren (und nicht etwa nur Klavierauszüge) der Sinfonien Beethovens studiert haben, um daraus für das eigene Schaffen Anregungen und Konsequenzen zu ziehen. Eher selten im Konzertsaal anzutreffen, sind die Werke bereits mehrfach auf CD eingespielt worden – erstmals und genau in der vorliegenden Koppelung durch die NDR Radiophilharmonie unter Johannes Goritzki (cpo, 1997) sowie auf zwei eigenständigen Alben gemeinsam mit der Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 35, Ouvertüren und noch anderem mehr durch die Solistes Européens unter Christoph König (Naxos, 2017). Insofern betritt Laurence Equilbey mit ihrem Insula orchestra kein Neuland mehr – es sei denn, man hebt die Interpretation auf Originalinstrumenten hervor, die freilich für das 19. Jahrhundert längst keinen Sonderweg mehr darstellt. Vielmehr stellt sich die Frage, ob etwa gerade unter diesen Voraussetzungen die langsame Einleitung der ersten Sinfonie in dieser Realisierung klanglich verstellt wird (Klarinette, Fagott). Berücksichtigt man noch die üblichen Parameter wie Intonation und Präzision, so lässt sich die Einspielung trotz des hörbaren Engagements und der neuen Perspektive leider nur als «ordentlich» bezeichnen.

Louise Farrenc. Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 32; Sinfonie Nr. 3 g-Moll op. 36
Insula orchestra, Laurence Equilbey

Erato 0190296698521 (2021)

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #075 – Sinfonikerinnen