21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Weinberg / Elisaveta Blumina

Weinberg / Elisaveta Blumina
Weinberg / Elisaveta Blumina
Weinbergs Klavierquintett op. 18 ist in den letzten Jahren gleich mehrfach eingespielt worden – nicht weil die ins Sinfonische gehende satte Besetzung plötzlich Konjunktur bekommen hätte, sondern weil es fraglos eines der persönlichsten Werke ist. 1944 entstanden, verleiht Weinberg hier nicht nur seiner Trauer Ausdruck: Während er im Alter von 20 Jahren mit Beginn des Krieges 1939 aus Polen über Minsk nach Taschkent fliehen konnte, wurden die Eltern und die Schwester erst im Ghetto interniert und schließlich im Konzentrationslager ermordet. Mehr noch steht diese Komposition für das Leiden in einer Zeit, in der es in ganz Europa abgrundtief dunkel geworden war; sie bezieht nicht Stellung für oder gegen etwas, sondern artikuliert die innere Tragik des Einzelnen. Wohl auch deshalb begründete das Klavierquintett Weinbergs hohes Ansehen in der Sowjetunion, zugleich war es eines der wenigen Werke, die schon früh den Weg in den Westen fanden. Manches wie die Unisonopassagen erinnert in der Partitur durchaus an Schostakowitsch, der sein eigenes Klavierquintett op. 57 vier Jahre zuvor vollendet hatte, nachgeeifert hat Weinberg ihm freilich nicht.

Im Zentrum des insgesamt fünfsätzigen Werkes steht das Largo mit einer Spielzeit von nahezu einer Viertelstunde – im Kern eine Elegie, mit der Weinberg die besondere Tradition der russischen Klavierkammermusik fortschreibt. Im Tonfall erschüttert, trauernd, anklagend, gehört der Satz zu den großen Würfen und verlangt von den Interpreten ein Höchstmaß an gestalterischem Vermögen, um über die weiten Strecken die innere Spannung zu halten. In diesem Sinne liegt das Werk bei Elisaveta Blumina und den um ihr Klavier versammelten Streichern in besten Händen. Obwohl kein stehendes Ensemble, ist eine ausgehörte wie intensive Einspielung entstanden, bei der die Musik ihre eigene Geschichte erzählt – auch mit grotesken Zügen und am Ende mit einer ins Pianissimo entrückten, nicht enden wollenden Frage. Klar und direkt eingefangen, überzeugt die Produktion auch akustisch. Beim Label Oehms Classics erschienen, spiegelt sie übrigens das im selben Jahr veröffentlichte Album von Capriccio, auf dem Elisaveta Blumina das Quintett gemeinsam mit dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt in einer arrangierten Orchesterfassung spielt; dort kombiniert mit den solistischen Kinderheften Nr. 1 und Nr. 2 (op. 16 und op. 19), hier mit dem Heft Nr. 3 (op. 23).

Mieczysław Weinberg. Klavierquintett op. 18 (1944), Kinderheft Nr. 3 op. 23
Elisaveta Blumina (Klavier), Noah Bendix-Balgley (Violine), Shanshan Yao (Violine), Máté Szücs (Viola), Bruno Delepelaire (Violoncello)

Oehms Classics OC 487 (2020)

HörBar

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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