In den letzten Jahren ist es wieder lebendiger um die Musik von Camille Saint-Saëns geworden. Nicht mehr nur die imposante Orgelsinfonie, die eine Geisterstunde aufrufende „Danse macabre“ oder das eine oder andere herausragende Konzert (für Klavier oder Violoncello, seltener Violine) werden neu eingespielt; zunehmend weckt auch die Kammer- und Klaviermusik das Interesse der Interpreten. Als Opernkomponist hingegen blieb Saint-Saëns weitgehend unbeachtet und verloren, „Samson und Dalila“ einmal ausgenommen. Dass nach der späten „Hélène“ (1902/03) und dem ambitionierten „Ascanio“ (1887/88) nun auch „Le Timbre d’argent“ eingespielt wurde, eröffnet den Blick auf eine frappierende schöpferische Seite.
Wer hätte gedacht, dass Saint-Saëns sich auch auf eine unterhaltsame, ein wenig an Offenbach erinnernde Tonsprache verstand, schon in jungen Jahren so brillant für den Orchestergraben instrumentierte und den Chor wiederholt ausgezeichnet in Szene setzte? Zwar wurden und werden dem Libretto Vorbehalte entgegengebracht (am Weihnachtsabend durchlebt der Maler Conrad einen Alptraum bis zum späten, überraschenden Erwachen), und doch ist es die Musik, die in den Bann zieht. Das mag vielleicht auch Saint-Saëns gespürt haben, denn von der ersten Fassung (1864) über die verspätete Uraufführung (1877) bis hin zur vorläufig letzten Inszenierung (1914) nahm er die Partitur seiner ersten Oper immer wieder zur Hand. Vielleicht reizte ihn auch die eigentümliche Mischung aus tänzerischer Gefälligkeit, lyrischem Fließen und dramatischer Zuspitzung. Denn sie ermöglicht ein breites Spektrum wechselnder Farben – vielleicht gar die vornehmste Qualität dieses Werkes, von der wild tanzenden Ouvertüre (ein wenig à la Berlioz) über die wundervolle Romanze „Le bonheur est chose légère“ (sie erinnert an Mozarts „Batti, batti, o bel Masetto“) und manche feurige Offenbachiade bis hin zum abschließenden „Alleluia“ (mit Orgel).
Hochrangig besetzt, wundervoll gestaltet und textverständlich gesungen sowie musikalisch von François-Xavier Roth und dem Orchester Les Siècles großartig umgesetzt, ist 2017 in der Opéra-Comique eine wirklich lohnende Ausgrabung gelungen, die vom Label „Bru Zane“ in gewohnt vorzüglicher Weise zwischen zwei Buchdeckeln(!) präsentiert wird.
Camille Saint-Saëns: Le Timbre d’argent (1864/1914)
Hélène Guilmette (Sopran), Jodie Devos (Sopran), Edgaras Montvidas (Tenor), Yu Shao (Tenor), Tassis Christoyannis (Bariton), Jean-Yves Ravoux (Tenor), Matthieu Chapuis (Tenor), Accentus, Les Siècles, Francois-Xavier RothBru Zane 20190-7 (2017)
- Carl Maria von Weber: Euryanthe (Trinks, ORF Radio-Symphonieorchester Wien)
- Franz Schubert: Sakontala (Kammerphilharmonie Bremen, Frieder Bernius)
- Giuseppe Verdi: Ernani (Cappella Aquileia, Marcus Bosch)
- Max Bruch: Loreley (Münchner Rundfunkorchester, Stefan Blunier)
- Camille Saint-Saëns: Le Timbre d’argent (Les Siècles, Francois-Xavier Roth)