21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Hans Werner Henze: Der Prinz von Homburg

Hans Werner Henze: Der Prinz von Homburg
Hans Werner Henze: Der Prinz von Homburg

Nur selten inszeniert und kaum eingespielt gilt Hans Werner Henzes Der Prinz von Homburg aus dem Jahre 1960 vielen noch immer als Geheimtipp. Denn das Werk ist ein wenig unbequem. Erst passte Heinrich von Kleists Drama nicht in das Weltbild des strengen «Preußentums», dann wurde es im Dritten Reich vereinnahmt, um später nur zögerlich wieder auf die Bühnen zu kommen. Der Anti-Held, der nach einem Urteil des Kriegsgerichts seinen kurz bevorstehenden Tod fürchten muss, mag sicherlich nicht gleich als Ideal gesehen worden sein – zumal die Brandenburger nach erfolgter Begnadigung schon zur nächsten Schlacht weiterziehen. Es ist vor allem der doppelte Bruch mit der Staatsraison, der verblüfft. Gerade hier aber zeigt sich trotz aller Widersprüche und dem scheinbar «typisch deutschen» Sujet, wie neu und anders Kleist dachte – nämlich nicht nach dem kühlen Buchstaben des Gesetzes, sondern nach der Motivation des Herzens zu urteilen.

Auch das von Ingeborg Bachmann besorgte Libretto hält in der letzten Fassung mit der Schlussszene an dieser inneren Dissonanz fest – sehr zum Vorteil der Oper, die sich nicht verliert, sondern plötzlich anzieht und den Akt der Begnadigung wie beiläufig rasch hinter sich lässt. Henze hat all dies in eine Partitur gesetzt, die auch noch in der revidierten Fassung ein größeres Kammerensemble verlangt. Damit ist eine äußerst flexible farbige Gestaltung möglich, die besonders dort ausgespielt wird, wo sie das Geschehen kommentiert. Wie markant einzelne Motive und Klänge hervorstechen, zeigte sich mir beim Hören dieser Stuttgarter Produktion an den dabei wachgerufenen Erinnerungen an einen eigenen Opernbesuch vor 27 Jahren. Die dahinter stehende musikalische Kraft lässt der Mitschnitt aus der Stuttgarter Staatsoper unter der Leitung von Cornelius Meister in allen Facetten aufleuchten, auch weil der instrumentale Part sehr präsent und durchsichtig eingefangen wurde. Dass die Gesangspartien durchwegs herausragend, mehr aber noch: ausgewogen besetzt sind, macht diese Einspielung fast schon zu einem Markstein – hoffentlich auch mit der Fernwirkung, dass wieder verstärkt ein Auge auf Henzes breites Schaffen geworfen wird.


Hans Werner Henze. Der Prinz von Homburg (1960, rev. 1991)
Štefan Margita (Tenor), Helene Schneiderman (Mezzo), Vera-Lotte Böcker (Sopran), Robin Adams (Bariton), Michael Ebbecke (Bariton), Friedemann Röhlig (Bass), Moritz Kallenberg (Tenor), Staatsorchester Stuttgart, Cornelius Meister

Capriccio C5405 (2019)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 5 von 5 in Michael Kubes HörBar #022 – Oper 20./21. Jahrhundert