Manche Werke bekommen in Lauf der Geschichte eine veränderte Bedeutung. Das gilt für Beethovens Neunte, die seit Richard Wagner vielerorts auf Silvester oder Neujahr abonniert ist, aber auch für andere Kompositionen, wenn sie in einen neuen Kontext gestellt werden. So auch für das Requiem für Larissa von Valentin Silvestrov, dem derzeit wohl bekanntesten und wohl auch bedeutendsten ukrainischen Komponisten. Zu Zeiten der Sowjetunion gehörte er mit seinen frühen Werken zur sogenannten «Kiewer Avantgarde» mit Kompositionen, die nicht so recht in den sozialistischen Realismus passen wollten. Doch inzwischen ist er in einer Sprache angekommen, die in ihrem Minimalismus, ihrer Strenge und Stille ein wenig an die nach ähnlichen Parametern aufgebaute Musik von Arvo Pärt oder Peteris Vasks erinnert – und doch ganz anders ist.
Das Requiem für Larissa (1999) schrieb Silvestrov als Ausdruck seiner Trauer nach dem plötzlichen Tod seiner Frau, der Musik- und Literaturwissenschaftlerin Larissa Bondarenko. Auch wenn sich der Text traditioneller lateinischer Verse bedient (hinzu kommt eine Dichtung von Taras Schwetschenko («Leb Wohl, Welt, leb wohl, Erde») handelt es sich nicht um eine liturgische Komposition: Verse und Worte sind sehr persönlich gewählt, erscheinen in fast meditativer Wiederholung, in dunkle orchestrale Farben getaucht, mit herben Harmonien, sich chromatisch auffaltenden Clustern und werden modal gedeutet. Die nahezu sprachlose Klage, verbunden mit lichten Hoffnungen und sich in der Weite des Raumes auflösenden Mozart-Zitaten mögen für Silvestrov eine sehr persönliche Aussage gewesen sein – sie haben aber inzwischen eine größere, umfassendere Bedeutung gewonnen. Insofern ist es keine billige Repertoire-Politik, einen Live-Mitschnitt von 2011 erst elf Jahre später auf den Markt zu bringen. Denn die Münchner Aufführung in der Herz-Jesu-Kirche unter der Leitung von Andres Mustonen atmet eine besondere, gänzlich unstilisierte Atmosphäre.
Valentin Silvestrov. Requiem für Larissa (1999)
Priska Eser (Sopran), Jutta Neumann (Alt), Andreas Hirtreiter (Tenor), Wolfgang Klose (Bass), Michael Mantaj (Bass), Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Andres Mustonen
BRKlassik 900344 (2011)