Wunderbar «nordisch» klingt die Sinfonie Nr. 2 c-Moll op. 134 (1875) von Carl Reinecke, der einst im schleswig-holsteinischen Altona geboren wurde. Die Partitur steht (leicht verspätet) in bester Leipziger Tradition – man denke vor allem an Niels W. Gade und dessen Sinfonie c-Moll op. 5. Mit dem Beinamen «Håkan Jarl» gibt ausgerechnet der konservative Reinecke einen Hinweis auf einen literarischen Vorwurf, der hier allerdings kaum mehr als Tonfall und Grundcharakter beschreibt; eine weitergehende programmatische Deutung war Reinecke fremd. Beides sollte sich für den Erfolg des ambitionierten, atmosphärisch dichten Werkes als problematisch erweisen: Den einen erschien es damals als zu wenig fortschrittlich, den anderen als zu avanciert. Sieht man einmal von der Jahreszahl ab (mal müsste historisch knapp 20 Jahre abziehen), so ist es eine Komposition, die dringend wieder aufgeführt werden muss. Sie hat viel zu sagen und zu erzählen, ja, sie ist gar zu den Hauptwerken Reineckes zu zählen. Aber warum sollte gerade dieses Werk auf dem Programm stehen, wenn schon Gade kaum gespielt wird?
Dass die Sinfonie in jenen Jahrzehnten keineswegs «tot» war, hat das Label cpo in den letzten Dekaden mit unzähligen Produktionen hörbar und greifbar gemacht. Zu Reineckes 200. Geburtstag ist diese Produktion daher eine Glanztat, ein treffliches «Geschenk« – nicht nur für den Komponisten, sondern für alle, die mit offenen Ohren vergessenen Werken begegnen und ihr eigenes Repertoire stetig bereichern wollen. Mit vier Konzert-Ouvertüren aus unterschiedlichen Zeiten und einem Tanz unter der Dorflinde ist das Album dicht bepackt (knapp 80 Minuten Spielzeit) und bereichert so auch in der Breite; der Prologus Solemnis wie auch die Ouvertüre zu Zenonia faszinieren durch unprätentiöse Erhabenheit bzw. dramatische Gestaltung). – Die Einspielung mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Henry Raudales ist hoch engagiert und vorbildlich. Offenbar haben alle so viel Freude an den Partituren gefunden, dass hier nichts dem Zufall überlassen oder nur auf hohem Niveau abgeschnurrt wurde. Wie so oft bei cpo empfinde ich die Aufnahme allerdings als zu basslastig. Ein leichter Glanz im oberen Frequenzbereich hätte dem Klang buchstäblich die Krone aufgesetzt.
Carl Heinrich Reinecke. Orchesterwerke Vol. 2
Sinfonie Nr. 2 c-Moll op. 134; Ouvertüre zu einer Jubelfeier op. 166; Prologus Solemnis op. 223; Tanz unter der Dorflinde op. 161/5; Dame Kobold (Ouvertüre) op. 51; Zenonia (Ouvertüre) op. 193
Münchner Rundfunkorchester, Henry Raudales
cpo 555 115-2 (2015/16)