10. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Sibelius & Prokofjew / Janine Jansen

Sibelius & Prokofjew / Janine Jansen
Sibelius & Prokofjew / Janine Jansen
Reichlich Weichzeichner vernebelt das Cover, so dass die Konturen verschwimmen und nivelliert werden. Das Label war bei dieser Gestaltung sichtlich nicht gut beraten, denn die hier eingespielten Konzerte verlangen markante Künstlerpersönlichkeiten. Beide Werke, das von Sibelius (in der üblichen Fassung) und das erste Konzert von Prokofjew, gehören zu den Standards des Repertoires, erklingen allzu oft im Saal und wurden vielfach aufgenommen. Warum also diese Einspielung? Weil die Decca ihre Künstlerin über bemerkenswert viele Jahre sehr systematisch aufgebaut hat – ein Blick in die Diskographie der letzten 20 (!) Jahre lohnt, um ein Verständnis dafür zu gewinnen. Erstaunlich ist dabei die gegenseitige Treue wie auch der sich erfrischend dem Zeitgeist widersetzende lange Atem.

Man sagt, mit der von Janine Jansen gespielten Shumsky-Rode-Stradivari hätten Farben und Ausdruck noch mehr gewonnen. Aber das ist nur ein Blick durchs Schlüsselloch. Eine Künstlerin sollte mehr sein als ihr Instrument, ein Konzert mehr als das Solo, die Einspielung mehr als eine Momentaufnahme. Und hier muss leider Wasser in den Wein gegossen werden. Denn die Produktion trennt akustisch in höchst bedenklicher Weise Solo und Tutti – ein Solo, das oft so präsent ist, wie man es sich von Kammermusik wünscht, ein Tutti hingegen, das kaum Gestalt annimmt, sondern (bei Sibelius) eher einem dichten Herbstnebel gleicht, aus dem hier und da einzelne Gesten oder Linien vage hervortreten und wieder verschwimmen. Schon die ersten Takte klingen so verblüffend wie irritierend: Das sanfte Wehen der Streicher ähnelt einem grauen Rauschen, das Solo steht mehr für sich, als dass es in Kommunikation tritt. Der weitere Verlauf der Orchesterexposition kommt nicht vom Fleck, sondern wirkt wie mit angezogener Handbremse musiziert. Die offene Faktur und Instrumentierung bei Prokofjew gleicht diese Grunddisposition vielfach aus – aber auch hier stehen immer wieder die Feinheiten der Instrumentation hinten an. Seltsam.

Jean Sibelius. Violinkonzert d-Moll op. 47; Sergei Prokofjew. Violinkonzert Nr. 1 D-Dur op. 19
Janine Jansen (Violine), Oslo Philharmonic Orchestra, Klaus Mäkelä

Decca 485 4748 (2023)

HörBarSchumann, Bruch / Niek Baar >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #131 – Violinkonzerte