28. September 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Adámek / Isabelle Faust

Adámek / Isabelle Faust
Adámek / Isabelle Faust
Dieses Album überrascht mit zwei Werken, die wirkliche Hinhörer sind. Ondřej Adámek (geb. 1979) ist dabei nicht nur ein Klangmagier, sondern auch ein musikalischer Erzähler, der mit Tönen, Silben und einzelnen Worten dramatisch konsistent «Geschichten» zu erzählen vermag. Dies ist auch der übergeordnete Aspekt, der die beiden hier mitgeschnittenen Kompositionen bei aller Unterschiedlichkeit in der Anlage miteinander verbindet – und der deutlich macht, dass hier in einem ausgeprägten Personalstil komponiert wird und nicht einzelne singuläre Ideen das Œuvre bestimmen. Es ist eine gewisse Universalität, die Adámeks Musik auszeichnet: präsente Rhythmen, konkret fassbare Gesten und Motive, Allusionen von Musik aus anderen Epochen, Kulturen und Stile, die Lust an neuen Klängen und Klangkonstellationen – mit und nicht gegen das traditionelle Instrumentarium.

Über allem steht eine in jedem Takt spürbare gestalterische Souveränität, die die verschiedenen Ebenen und Sphären miteinander verbindet, statt sie gegeneinander auszuspielen. Das gilt für die attacca aufeinander folgenden, vokal drängenden wie fesselnden elf Sätze von Where are you? (2020) ebenso wie für die drei, ebenfalls ineinander übergehenden Sätze des Violinkonzerts Follow me (2016/17). In diesem Fall scheint der Mitschnitt aber nur einen Teil (wenn auch den entscheidenden) festzuhalten. Denn das Konzert hat auch eine gestisch-szenische Komponente zwischen «Anführer» (Solo) und «Anhänger» (Tutti) – ein genuin konzertantes Element, das auskomponiert wurde und auch auszuspielen ist: Am Ende vertreibt gar das eingangs in Bann gezogene Tutti den einstigen «Anführer» vom Podium. Dass sowohl Magdalena Kožená als auch Isabelle Faust die anspruchsvollen Partituren nicht bloß realisieren, sondern wirklich interpretieren, ist in jedem Moment unmittelbar spürbar. – Ich habe lange nicht mehr eine so in sich geschlossene zeitgenössische kompositorische Sprache gehört, die auch über lange Strecken trägt und zum wiederholten Hören und Entdecken einlädt. Es ist, wie schon der ältliche und doch treffliche Name der Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks sagt, in der Tat musica viva.

musica viva #38
Ondřej Adámek. «Follow me». Konzert für Violine und Orchester (2016/17); «Where are you?» für Mezzosopran und Orchester (2020)
Isabelle Faust (Violine), Magdalena Kožená (Mezzoopran), Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Peter Rundel, Simon Rattle

BRKlassik 900638 (2017, 2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 4 in Michael Kubes HörBar #131 – Violinkonzerte

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