Über allem steht eine in jedem Takt spürbare gestalterische Souveränität, die die verschiedenen Ebenen und Sphären miteinander verbindet, statt sie gegeneinander auszuspielen. Das gilt für die attacca aufeinander folgenden, vokal drängenden wie fesselnden elf Sätze von Where are you? (2020) ebenso wie für die drei ebenfalls ineinander übergehenden Sätze des Violinkonzerts Follow me (2016/17). In diesem Fall scheint der Mitschnitt aber nur einen Teil (wenn auch den entscheidenden) festzuhalten. Denn das Konzert hat eine gestisch-szenische Komponente zwischen «Anführer» (Solo) und «Anhänger» (Tutti) – ein genuin konzertantes Element, das auskomponiert wurde und auch auszuspielen ist: Am Ende vertreibt gar das eingangs in Bann gezogene Tutti den einstigen «Anführer» vom Podium. Dass sowohl Magdalena Kožená wie Isabelle Faust die anspruchsvollen Partituren nicht bloß realisieren, sondern wirklich interpretieren, ist in jedem Moment unmittelbar spürbar. – Ich habe lange nicht mehr eine so in sich geschlossene zeitgenössische kompositorische Sprache gehört, die auch über lange Strecken trägt und zum wiederholten Hören und Entdecken einlädt. Es ist, wie schon der ältliche und doch treffliche Name der Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks sagt, in der Tat musica viva.
musica viva #38
Ondřej Adámek. «Follow me». Konzert für Violine und Orchester (2016/17); «Where are you?» für Mezzosopran und Orchester (2020)
Isabelle Faust (Violine), Magdalena Kožená (Mezzosopran), Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Peter Rundel, Simon Rattle
BRKlassik 900638 (2017, 2021)