«Schon wieder ein unbekannter Romantiker!», möchte man ausrufen. Und tatsächlich wird wohl kaum jemand etwas von Zygmunt Stojowski (1870–1946) gehört haben. Geschuldet ist dies einer Biographie, in der es in einem entscheidenden Moment «go west» hieß. Abgesehen von der nach wie vor offenen (und vermutlich auch eher unerheblichen) Frage nach dem Geburtsort – zu viele Quellen gingen im Feuersturm des Zweiten Weltkriegs verloren –, findet man Stojowski zunächst als Schüler bei Władysław Żeleński in Krakau, dann bei Louis Diémer (Klavier) und Léo Delibes (Komposition) am Conservatoire in Paris. Mit seiner Sinfonie d-Moll op. 21 konnte er 1898 die unter dem Vorsitz von Arthur Nikisch stehende Jury des Leipziger Paderewski-Wettbewerbs überzeugen, die Uraufführung spielten 1900 die Berliner Philharmoniker, die polnische Erstaufführung fand im Gründungskonzert (1901) der Warschauer Philharmoniker statt. Auch in der Neuen Welt konnte Stojowski mit dem Werk bei einem Portraitkonzert in der Carnegie Hall reüssieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er allerdings schon seit einem Jahrzehnt die Leitung der Klavierabteilung am Institute of Musical Art (der späteren Juilliard School) in New York City übernommen. Abgeschnitten von der Alten Welt geriet er über die beiden Weltkriege hinweg in Vergessenheit, posthum erschien seine polnische Herkunft in der vom Antikommunismus hysterisierten Neuen Welt suspekt.
Was also ist zu entdecken? Zunächst einmal sollte man berücksichtigen, dass es sich sowohl bei der Suite op. 9 wie auch der Sinfonie op. 21 um Werke aus der Zeit des «langen» 19. Jahrhunderts handelt, sie nicht ohne die spezifische Kulturgeschichte einer politisch (noch) nicht existenten Nation zu denken oder in einen Gattungskontext einzubetten sind. Stojowski selbst überliefert in Bezug auf die Suite von 1891 einen offenbar erstaunten Ausruf von Johannes Brahms: «Donnerwetter! Sie instrumentieren aber raffiniert!» Heute fühlt man sich an einige Klänge des späteren Max Reger erinnert – aber das war mehr als 20 Jahre später. Doch weder Johannes Brahms noch Hans von Bülow (der Widmungsträger) oder Peter Tschaikowsky konnten schließlich mehr für das Werk tun – der Tod der drei verhinderte vielleicht Weiteres. Die Sinfonie von 1898 geht in Ausdruck und Klang über Brahms’ Opus 98 hinaus, erreicht aber weder die Griffigkeit eines Dvořák (op. 95), noch die formale Kraft eines frühen Zemlinsky oder die freie Klangwelt eines Gustav Mahler. Sie bleibt tatsächlich irgendwo im Niemandsland der stilistischen Entwicklung stecken – auf dem Weg zu einer eigenständigen, polnisch inspirierten Tonsprache, die dann allerdings bei Stojowski auch alsbald verstummte. – Die Einspielung, der man mit dem alternden Antoni Wit (*1944) offenbar einen authentischen polnischen Anstrich geben wollte, ist auf gutem Niveau, klanglich allerdings enger und weniger differenziert, als es die Philharmonie in Ludwigshafen erwarten lässt.
Zygmunt Stojowski. Sinfonie d-Moll op. 21 (1898); Suite für Orchester Es-Dur op. 9 (1891)
Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Antoni Wit
Capriccio C 5464 (2021)