18. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Charles Koechlin

Charles Koechlin
Charles Koechlin
Obwohl zahlreiche seiner Werke inzwischen auf CD verfügbar sind, gehört Charles Koechlin (1867–1950) noch immer zu den am wenigsten aufgeführten großen Komponisten der späten, zur musikalischen Moderne neigenden Romantik. Ohnehin verweigert sich sein individueller Stil jeder Form einer Schubladisierung – was wiederum eine breitere Rezeption erschwert. Tatsächlich weist nahezu jede seiner Partituren Überraschungen auf und bezaubert auf ganz eigene Weise immer wieder neu. In diesem Fall ist es die Seven Stars’ Symphony op. 132 (1933) – eine späte Komposition, wie auch alle anderen seiner insgesamt vier Sinfonien, von denen allerdings nur zwei gezählt sind. Bereits 27 Jahre ist die letzte, längst im Handel vergriffene Einspielung des Werkes her (mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter James Judd). Dabei handelt es sich um ein Werk, das so wohl nur in den 1930er Jahren entstehen konnte: Der universell interessierte Koechlin war auch ein großer Freund des gerade mit dem Tonfilm modernisierten Kinos – ohne allerdings selbst jemals mit Filmmusik in Erscheinung getreten zu sein. Statt dessen schuf er eine Sinfonie, in der er in sieben Sätzen seine persönlichen Leinwandgrößen ganz im Sinne des 19. Jahrhunderts «charakteristisch» portraitierte, musikalisch aber die Idome seiner Zeit aufgriff.

So untermalt die Seven Stars’ Symphony nicht verschiedene Filmszenen; sie ist vielmehr formal betont abstrakt gestaltet und dennoch auf die Schauspieler:innen abgestellt: so bei Douglas Fairbanks mit impressionistischen Klängen und dem Verweis auf den Dieb von Bagdad (1924), nobel barockisierend bei Lilian Harvey, mit einem Ondes Martenot sphärisch verzaubernd bei Greta Garbo, spielerisch bei Clara Bow, mit verträumten Variationen über ein soggetto cavato bei Marlene Dietrich (sur le thème par les lettres de son nom), abgründig wie die Magie des Blauen Engels bei Emil Jannings, und schließlich in einem sehr breiten und abwechslungsreichen Finale die verschiedenen Facetten von Charlie Chaplin beleuchtend, auch hier als Variationen über ein Thema aus den Buchstaben des Namens. Eine glückliche dramaturgische Ergänzung stellt das erst 1989 uraufgeführte Stück Vers la voûte étoilée op. 129 dar (Auf dem Weg zum Sternenhimmel). Hier werden die «Stars» anders gedeutet – und die Weite der Musik lässt einen bei sternklarem Himmel wirklich ins Träumen kommen (John Williams kannte diese Partitur offenbar nicht). – Das Sinfonieorchester Basel spielt unter Ariane Matiakh differenziert, klar durchhörbar und in einem kontrollierten, unaufgeregt leisen Klangrausch. Zudem wurde schlichtweg der richtige Tonfall getroffen, bei dem nichts billig abgleitet, sondern der selbst bei wiederholtem Hören verzaubert. Auch akustisch ist die Produktion herausragend gelungen: Räumlichkeit und Tiefe verbinden sich mit einer wundervollen zeichnenden Kontur auch in den extremen Höhen und Tiefen des Ambitus. Für mich schon jetzt ein Highlight des Jahres.

Charles Koechlin. The Seven Stars’ Symphony op. 132 (1933);
Vers la voûte étoilée op. 129 (1923–1933, rev. 1939)
Sinfonieorchester Basel, Ariane Matiakh

Capriccio C 5449 (2021)

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