Der Anfang der Platte ist stark. Es kribbelt sich der Schlagzeuggrundbeat mit eine Basslinie über oder unter oder in denen sich elektronische Blips und Bleeps wuseln, eine Gitarre setzt sich darüber, später die Bläser. Das Teil steht. Zusammengekocht dreht das Stück hoch. Das macht Freude, später zerfaselt es im Synthie und rutscht ab in eine Art durchlässige kreuz- und querrasende Schwubbel-Musik. Ein Bass-Solo dann über ein paar lose Gedanken. Von da aus ziehen die Bläser sich alles nötige heraus, um an den Chorus des Stücks zurückzuweisen, der in erhöhtem Tempo erklingt. Freude kommt erneut auf, wenn die Gitarre von Markus W. Schneider solo steht.
Das verweist in der Tat zurück auf Konstruktionsideen im New Yorker Jazz der 80er Jahre, wie er mit den Lounge Lizards verbunden ist. Re-(Jazz)[Post]-Pop vielleicht? Im Begleittext schreibt Phil Yaeger: „Ob der Begriff ‚Jazz‘ noch für einen bestimmen Stil steht mag fraglich sein. Er steht aber nach wie vor für einen bestimmten Zugang zur Musik: Einen aufgeschlossenen, egalitären, relevanten Zugang, der Musikerinnen und Musikern möglichst viel Freiheit zum Selbstausdruck einräumt – ohne dass sie befürchten müssen, sie könnten irgendwo eine imaginäre Trennlinie überschreiten. Jazz ist vor allem eine grenzenlose Musik – und Lukas Aichingers Projekt AHL6 verkörpert genau dieses Verständnis.“
Grenzenlosigkeit der Musik? Ist es so? Ich schwanke da sehr. So dicht und klug das erste Stück schon gebaut und realisiert worden ist, wie man kann man da das Niveau halten oder gar eins drauf setzen und die Musik im Dauerstress erweitern? Es geht fast nicht. Und das ist ein bisschen das Problem.
Der rhapsodische Stil im Versuch, ihn rhythmisch immer wieder zu kanalisieren und einzufangen, bereitet schon auch mal Wahrnehmungsverdruss. Man muss sich nicht nur zwischen den Tracks hörakustisch umstellen, sondern dies auch relativ häufig und schnell innerhalb dieser. Es ist eine Frage des Timings – und zugegebenermaßen, da ist jede:r Zuhörer:in anders empfänglich. Phil Yaeger sieht es so: „jedes Stück führt den Zuhörenden mit sicherer Hand den vom Komponisten bestimmten Weg entlang.“ Muss man individuell entscheiden – ich schwanke da je nach eigener Befindlichkeit und finde an einem Tag die Tracks wunderbar stimmig in ihrer Überraschungsfertigkeit, am nächsten finde ich es lähmend anstrengend. Ich kann mir vorstellen, dass diese Platte die einen total vom Hocker reißt, während andere mit der Zeit „abschalten?“ – Man sollte der Platte in jedem Fall jede Chance geben und alles zulassen. Und vielleicht ist es auch nicht die schlechteste Idee, sich dann von der „sicheren Hand“ des Komponisten zu lösen, die eine führt und stattdessen sich selbst zu entführen und dabei die Musik eben mitzunehmen.
Fazit: Mit Gewinn gehört, aber dabei die spärlichen Rest-Haare gerauft.
AHL6: If Life Were A Liquid [2022]
- Thomas Liesinger – trumpet, FX
- Robert Schröck – alto saxophone, contrabass clarinet
- Leonhard Skorupa – tenor saxophone, clarinet
- Markus W. Schneider – electric guitar, FX
- Tobias Pöcksteiner – upright bass, electric fretless bass
- Lukas Aichinger – drums, composition
- all tracks composed and arranged by Lukas Aichinger
2022 Waschsalon Records