Zwischen den Jahren liegen nicht nur die Raunächte, es ist – gefühlt – auch die rechte Zeit für Operetten. Während die einen orakeln, amüsieren sich die anderen an Abenden, die dem Alltag enthoben sind, leichter erscheinen und ein wenig Spritzigkeit ins Leben bringen: Man muss sich dazu nur landauf, landab, die Spielpläne anschauen. Doch gibt es mehr zu entdecken, als heute im Repertoire präsent ist…
Über Marcel Lattès (1886–1943) und seine Kompositionen ist aktuell fast nichts zu erfahren (außer wenigen zusammenfassenden Daten im französischen Wiki). Dabei zählt er zu den Komponisten, die in den 1920er und 1930er Jahren auf beglückend kunstvolle und ungezwungene Weise ernste und unterhaltsame Musik zu einer reizvollen Synthese verbanden. Zwölf Operetten (1908 bis 1935) und knapp 40 Filmscores (1930 bis 1940) lassen sich derzeit nachweisen. Als Schüler von Louis Diémer und Charles-Marie Widor hatte er das Pariser Conservatoire absolviert, als Jude wurde er 1941 interniert, schließlich nach Auschwitz deportiert und nur wenig später ermordet. Dass eine seiner Operetten wieder auf die Bühne gelangte, ist dem Theâtre de l’Athénée (Paris) zu verdanken, das sich schon seit vielen Jahren dem kaum mehr präsenten Werkbestand dieser zwischen den Stühlen sitzenden Gattung mit Lust und Energie widmet.
In diesem Fall ist es Le Diable à Paris (Der Teufel in Paris) – eine in die Gegenwart der späten Zwanziger Jahre verortete Faust-Parodie in drei Akten. Musikalisch geht es auf hervorragendem Niveau betont lustvoll zu. Natürlich liegt das zunächst am agilen Vokalensemble, auch wenn es im hohen Register manchmal zu spitz wird. Am Spiel des Orchestre des Frivolités Parisiennes hingegen kann man sich ohne solch kleine Einschränkungen begeistern, hier sitzen Präzision und Witz gleichermaßen. Aufgenommen wurde dieses teuflische Vergnügen am 19. Dezember 2020 live, wobei allerdings die länglichen Dialoge zugunsten knapper verbindender Texte fallen gelassen wurden. Als problematisch erweist sich das Booklet, in dem zwar die gesungenen Worte französisch/englisch abgedruckt werden, nicht allerdings die zum Verständnis beitragenden Texte, die, naturellement, auf Französisch eingesprochen wurden. Und schließlich: Wohin mit dem Beiheft? Die Seitentasche («Pocket») im Digipack ist bereits mit einem vielfach gefalteten Poster und Interview bestückt. Das 32 eng bedruckte Seiten umfassende Booklet muss also lose eingelegt werden. Alles andere als «state of the art».
Marcel Lattès. Le Diable à Paris (1927)
Marion Tassou (Sopran), Sarah Laulan (Mezzo), Julie Mossay (Sopran), Mathieu Dubroca (Bariton), Denis Mignien (Tenor), Paul-Alexandre Dubois (Bariton), Céline Groussard, Orchestre des Frivolités Parisiennes, Dylan Corlay
B Records LBM 033 (2020)