27. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Josquin / Chansons

Josquin / Chansons
Josquin / Chansons

Ein wenig abseits im Œuvre Josquins steht bis heute der größte Teil der drei- und vierstimmigen Chansons, meistenteils polyphon gestaltete Liedsätze auf weltliche Texte. Der Umstand ist wohl auch auf die weitgehende Unklarheit über die Authentizität zahlreicher Kompositionen zurückzuführen: Von den in der Gesamtausgabe abgedruckten 36 drei- und 39 vierstimmigen Werken sind gut die Hälfte als fraglich oder gar zweifelhaft gekennzeichnet. Ob solche heute als notwendig empfundene Zuschreibungen in diesem Bereich des Schaffens allerdings auch dem Geist des ausgehenden 15. Jahrhunderts entsprechen? Am Ende sollte vielleicht eher die kompositorische Originalität eines Satzes zählen als ein mit Frage- oder Ausrufezeichen versehener Name. Freilich sind selbst längst zum Kanon zählende Werke nicht vor einer neuzeitlichen Überformung gefeit.

All dies begegnet auf diesem Album, das viel helles Licht, aber auch Grau und Dunkel bietet. Da wären zunächst all die kurzweiligen Chansons, die wundervoll zügig am Text entlang gestaltet werden – stimmlich offen, unverfälscht und oft mit einer Laute begleitet als Musik für die Kammer (oder auch fürs Privatissimum) gesungen. Ohne Zweifel ein wundervoller Gewinn! Dann sind da aber auch einige Werke, die teilweise oder gar gänzlich instrumentaliter als Intavolierung dargeboten werden. Mit zwei Lauten geschieht dies aufführungspraktisch nachvollziehbar, mit einem Fender Rhodes eher überraschend (R(icerca)da) bis irritierend (La Bernardina), mit den Ondes Martenot gar faszinierend und ein wenig an «Raumschiff Orion» erinnernd. Solch sphärischen Klängen verschließe ich mich nicht – sie können sogar sehr nahe liegen und die Musik auf willkommene Weise ins 21. Jahrhundert transportieren (herrlich: Adieu mes amours). Warum dann aber das schon in der Renaissance wegen seiner einmaligen Melancholie weithin bekannte Mille regretz durch eine Synthie-Improvisation derartig aus den Angeln gehoben wird, bleibt mir verschlossen, ebenso wie die nachklappende unmotiviert lichte Auflösung des phrygischen Modus. Genau hier legt sich ein Schatten auf das Album.

Josquin Desprez. Baises moy; Fama malum; Dulces exuviae; Belle pour l’amour de vous; La Bernardina; En l’ombre d’ung buissonet; Qui belles amours; Ri(cerca)da; Ecce tu pulchra es; Bergerette savoisienne; Guillaume se va chauffer; El grillo; Unisono 2; Nymphes des bois; Je ris; Ut Phoebi radiis; Tant vous aimme; Mille regretz; Adieu mes amours; Plus nulz regretz
Ensemble thélème, Jean-Christophe Groffe

Aparte AP 259 (2021)

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