19. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Josquin / Messen

Josquin / Messen
Josquin / Messen

Wie leicht tut man sich doch bei Strawinsky oder Sibelius, Beethoven, Mozart oder Bach mit vollständigen CD-Editionen. Je weiter man aber in der Musikgeschichte zurückgeht, desto rarer werden solche Projekte. Die Gründe dafür mögen nur teilweise in der gelegentlich fraglichen Autorschaft liegen, denn sowohl die Quantität dieser Werke wie auch die dafür benötigte Extra-Spielzeit muten recht überschaubar an. Und so wurden auch zu Josquins 500. Todestag nahezu ausschließlich einzelne Alben veröffentlicht mit mehr oder weniger deutlichen Schnittmengen. Ausgenommen davon ist eine CD mit drei Mess-Vertonungen, gesungen von den Tallis Scholars aus England. Ohne dass dies auf dem Cover vermerkt wäre, handelt es sich um die neunte und letzte Folge einer Gesamteinspielung der insgesamt 18 gesicherten Messen Josquins – ein Projekt, das bereits 1986 startete und nun nach 35(!) Jahren zum Abschluss kommt. Nicht dabei sind allerdings die einzeln überlieferten Sätze des Ordinariums, hingegen die Missa Da pacem, die inzwischen als Fehlzuschreibung gehandelt wird.

Wie bei den alten und älteren Einspielungen dieser Reihe handelt es sich erneut um eine mustergültige Produktion mit bleibendem Referenzcharakter. Zu einem Markenzeichen ist für die Tallis Scholars der Ausgleich zwischen der Linearität der Stimmen und dem Gesamtklang des Ensembles geworden. Darüber hinaus wird den einzelnen Kompositionen ein jeweils eigener Ausdruck, eine eigene interpretatorische Physiognomie gegeben – und dies nicht von außen aufgesetzt, sondern aus der Struktur des Werkes gewonnen. Streng, kantig und mit einem stählernem Glanz versehen sind etwa in der Missa Hercules Dux Ferrarie das Kyrie und Gloria gestaltet, das Sanctus hingegen geheimnisumwoben. Fast liedhaft wird hingegen die Missa D’ung aultre amer (nach einem Chanson von Johannes Ockeghem) umgesetzt, als Folge einer weitgehend syllabischen Vertonung des Textes im Gloria und Credo. Eher objektiv mutet wiederum die Missa Faysant regretz an, deren Architektur auf ein nur vier Töne umfassendes Motto zurückgeht. – Ob die Tallis Scholars in den kommenden Jahren noch ein Supplement vorlegen oder sich an eine Einspielung der Motetten machen? Es wäre für das Œuvre Josquins wie auch für alle Freunde dieser faszinierenden Musik ein Gewinn.

Josquin Desprez. Missa Hercules Dux Ferrarie; Missa D’ung aultre amer; Missa Faysant regretz
The Tallis Scholars, Peter Philipps

Gimell CDGIM 051

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