8. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Beethoven 7 / Teodor Currentzis

Beethoven 7 / Teodor Currentzis
Beethoven 7 / Teodor Currentzis

Currentzis polarisiert. Wer sich dabei noch immer am rein äußerlichen Auftreten stört, der hat die letzten Jahrzehnte verschlafen: sowohl hinsichtlich der Freiheit, die der «Betrieb» längst gewährt, der klar hervortretenden Marketingstrategien, als auch des Rechts auf «Gleichberechtigung». Viel interessanter ist es, sich an seinen Interpretationen zu reiben. Denn Currentzis wandelt auf einem wahrlich hochgefährlichen schmalen Grat: auf der einen Seite der genialische Zugriff, das klare Zeichnen und technisch perfektionistische Hervorholen der innersten Architektur einer Partitur und ihrer musikalischen Ausdruckstiefe, auf der anderen Seite der alles verschlingende Abgrund, der sich bei kantigen Überzeichnungen und einer spürbar effekthascherischen Selbstgefälligkeit auftut. Zudem greift Currentzis im Repertoire, zumal wenn es um eine CD-Einspielung geht, durchwegs nach den Sternen. Keine Partitur ist ihm und seinem Orchester, der MusicAeterna, zu großartig. Zeichnet sich nun aber mit dieser zweiten Beethoven-Einspielung tatsächlich ein vollständiger Zyklus ab? Oder folgen auf die 5. und 7. nurmehr Eroica, Pastorale und Neunte?

Doch nun erst einmal die Siebte, aufgenommen bereits 2018 an (man möchte diesen Luxus kaum glauben) insgesamt neun Tagen im Wiener Konzerthaus. Das eröffnet natürlich Möglichkeiten, die anderen Klangkörpern verschlossen bleiben; die aus ökonomischen Gründen allseits präsente «Kultur» des Live-Mitschnitts bildet dazu den Gegenpol. Tatsächlich wird man nur selten (zumal mit «alten Bläsern») eine so präzise Intonation, kombiniert mit rundem Klang und gezielt ausgehörten Linien antreffen. Auch die Dynamik (ein oft ein überredendes Argument) wirkt in diesem Fall gebändigt und in einen größeren Kontext des Satzverlaufs gestellt. Das betrifft beispielhaft den Beginn des zweiten Satzes, der in den tiefen Streichern an die Grenzen des Hör- und spieltechnisch Machbaren geführt wird und vollkommen überzeugt. Dass Currentzis aufgrund der Phrasierung in dem Allegretto eher einen antiken Tanz als eine marcia funebre sieht – geschenkt. Denn musikalisch widerlegt er sich selbst, und ein Blick in den historischen Kontext hätte womöglich gezeigt, was genau hier für die Zeitgenossen ausgedrückt werden sollte. Auch nach mehrmaligem Hören offenbart diese Einspielung immer wieder neue Perspektiven – und sie gleicht damit auch in der Art der Herangehensweise nicht von ungefähr der Einspielung mit den Wiener Philharmonikern unter Leonard Bernstein von 1981.


Ludwig van Beethoven. Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92
MusicAeterna, Teodor Currentzis

Sony 19439743772 (2018)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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