Diese fünf CDs umfassende Box gehört hinsichtlich des Repertoires fraglos zu den schönsten Erträgen des vergangenen Beethoven-Jahrs. Denn wo überhaupt hat sich ein Ensemble so konsequent nicht nur um den Jubilar, sondern auch um seine Zeitgenossen und Nachfolger bemüht? Mit insgesamt zwölf Kompositionen kündigt sich rein äußerlich eine Durchsicht des Werkbestands an. Begeisterung könnte sich also einstellen – und doch darf man ein wenig ins Nachdenken kommen. Zunächst über den Titel und den gewählten Zeitabschnitt, „Beethovens Welt 1799–1851“. Auf das Streichquartett bezogen ist 1799 (op. 18) sicherlich eine gute Wahl, ergänzt durch 1806 (op. 59) und 1826 (op. 135). Wie aber sind die Schritte 1827 (Mendelssohn op. 13), 1842 (Schumann op. 41) und gar 1851 (Czerny, Nr. 28 As-Dur) zu verstehen? Zumal auf allen CD-Covern der Untertitel „Der Revolutionär & seine Rivalen“ lautet und die Abbildung von mancherlei Kriegsgerät auf harte Auseinandersetzungen verweist? Wird da um den Preis der historischen Seriosität nicht doch zu sehr auf das PR-Pedal gedrückt?
Zwischen Beethoven und Boccherini gibt es weder persönliche, räumliche noch gar musikalische Schnittmengen, und ausgerechnet Carl Czerny war einer der wenigen, mit dem es zu keinerlei Streit oder Verwerfungen kam. Auch über die Werk-Auswahl wird man trefflich diskutieren können: Warum ausgerechnet die mit ihren Kompositionen allseits Bekannten Mendelssohn und Schumann, wenn schon im Booklet die ansatzweisen Repertoire-Listen auf anderes neugierig machen? So wurde gänzlich auf Onslow und Spohr verzichtet – doch halt! Wenigstens über Spohr muss man intensiv nachgedacht haben, denn auf dem Backcover der Hülle zur CD 1 (1799) findet sich bei Adalbert Gyrowetz die irreführende Angabe „op. 29/1 Es-Dur“, die eindeutig auf Louis Spohr verweist und an einen kurzfristigen Austausch des Werks denken lässt. Das umfangreiche Booklet schweigt sich dazu aus und bietet leider nur werkbezogene Essays. – Interpretatorisch aber versteht das Zürcher casalQuartett (nicht zu verwechseln mit dem aus Madrid stammenden Cuarteto Casals) alle Kompositionen auf einem vorzüglich hohen Niveau zu interpretieren, was gerade den unbekannten Werken zugute kommt. Der satte Klang der Formation denkt das Streichquartett zu Recht als eine im frühen 19. Jahrhundert auf das breitere Publikum im öffentlichen Konzert zugehende Gattung und deutet in diesem Sinne auch Haydns op. 77/1 folgerichtig.
Fazit: Die Box überzeugt musikalisch und bietet eine überaus bemerkenswerte Auswahl mit Ersteinspielungen, wobei die Zusammenstellung vielleicht noch interessanter hätte ausfallen können (etwa mit einem Werk aus dem Bereich des hier nicht vertretenen „Quatuor brillant“).
Beethovens Welt 1799–1851.
- Adalbert Gyrowetz: Streichquartett D-Dur op. 47/3;
- Joseph Haydn: Streichquartett G-Dur op. 77/1;
- Ludwig van Beethoven: Streichquartett F-Dur op. 18/1;
- Luigi Boccherini: Streichquartett G-Dur op. 64/1;
- Peter Hänsel: Streichquartett D-Dur op. 20/3;
- Ludwig van Beethoven: Streichquartett C-Dur op. 59/3;
- Gaetano Donizetti: Streichquartett Nr. 17 D-Dur;
- Ludwig van Beethoven: Streichquartett F-Dur op. 135;
- Franz Schubert: Streichquartett d-Moll D 810;
- Robert Schumann: Streichquartett A-Dur op. 41/3;
- Felix Mendelssohn Bartholdy: Streichquartett a-Moll op. 13;
- Carl Czerny: Streichquartett Nr. 28 As-Dur
casalQuartett
SoloMusica SM 283 (2017/18/19)