28. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
Tuba Concerto

Tuba Concerto

John Williams gehört fraglos zu jenen Komponisten, von denen nur ein Teil des gesamten Schaffens bekannt ist. Fast ergeht es ihm so wie einst Carl Czerny – der erst am Ende seines Lebens erschrocken bemerkte, dass ihn alle Welt nur wegen seiner Etüden kennen würde; seine Sinfonien und Streichquartette (missing links aus dem 19. Jahrhundert) blieben ungedruckt liegen und werden erst jetzt wiederentdeckt. Bei Williams steht die Sache etwas anders. Wikipedia verzeichnet einen Katalog von konzertanten Werken (allein zwölf veritable «Concerts»), während man allerlei Hymnen und Fanfaren als Gelegenheitsarbeiten einstufen

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The Berlin Concert

The Berlin Concert

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Atmosphäre dieses Konzertmitschnitts als ein wirklicher Live-Event ist weder bei Spotify noch auf anderen Streaming-Plattformen so zu erleben wie auf dieser Doppel-CD. Nur hier gibt es den begeisterten Applaus der Fans, nur hier sind einige der persönlichen Geschichten und Geschichtchen zu hören, mit denen der Großmeister des Hollywoodfilms knapp vor seinem 90. Geburtstag mit Sympathie und Frische durch das Programm führte. Und man wird wirklich überrascht: Denn dieses Konzert vom Oktober 2021 stellt zugleich den ersten Berlin-Besuch von John Williams dar. Wer hätte

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Ukrainian Piano Quintets

Ukrainian Piano Quintets

So leicht man sich heute tut mit nationalen Identitäten, die im 19. Jahrhundert gewachsen sind und in staatliche Strukturen mündeten, so schwer fällt dies für viele Kulturen im östlichen Europa, die durch das russische Zarenreich und danach nochmals im Stalinismus unterdrückt wurden. Erst die unverhoffte späte Selbstbestimmung seit den 1990er Jahren führte zum Anknüpfen an ältere Traditionen und damit auch zur Suche nach dem eigenen Erbe und eigenen Ausdrucksmöglichkeiten. Dass diese Suche nicht erst seit Februar 2022 bedroht wird, zeigt sich aktuell am breiten Strom des Dnipro, aber auch in

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Anders Eliasson

Anders Eliasson

Seit seinem Tod vor nunmehr zehn Jahren ist es um Anders Eliasson (1947–2013) und seine Musik still geworden. Offensichtlich hat ihn das fragwürdige Schicksal vieler zeitgenössischer Komponisten erreicht: Um «sichtbar» zu sein, muss in der Regel fortwährend die Werbetrommel gerührt und das Interesse mit immer neuen Werken wach gehalten werden. Posthum das Œuvre präsent zu bewahren, ist nahezu unmöglich – und so bedarf es immer einer besonderen Initiative, wieder etwas hervorzuholen und vielfach überhaupt publik zu halten. Auch bei diesem Album, das nach fünf (!) Jahren wieder Aufmerksamkeit für Werke

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Eloïse Bella Kohn

Eloïse Bella Kohn

Große Werke fordern Konzentration. Und so ist es wohl auch kein Wunder, dass als Ergebnis von Lockdown und Konzertpause bei einigen Pianisten und Pianistinnen der Wunsch Realität wurde, sich grundsätzlich einmal mit Bachs «Opus summum», der Kunst der Fuge BWV 1080, gedanklich wie interpretatorisch auseinander zu setzen – einem Werk freilich voller Rätsel: angefangen bei der Frage der Abfolge der mit «Contrapunctus» überschriebenen Sätze und der ergänzenden Canones, endend mit dem Geheimnis um die Quadrupel-Fuge (zugespitzt formuliert: ob Bach sie doch schon vollendet hatte oder über ihr tragisch verschied). Aufführungspraktisch

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Páll Ragnar Pálsson

Páll Ragnar Pálsson

Dass es nicht immer eines digitalen Sounddesigns bedarf, um ungehörte Klänge oder neue Spektren in einem sich komplex entwickelnden akustischen Raum zu erschaffen, belegt Páll Ragnar Pálsson (geb. 1977) höchst eindrücklich. Die auf diesem Album versammelten Kompositionen stammen aus den Jahren zwischen 2011 und 2018 und reflektieren die unterschiedlichen Erfahrungen, die Pálsson sowohl in der Freiheit der isländischen Indie-Szene gesammelt hat, wie auch die in den eher akademischen Zirkeln während seiner Studienzeit in Tallinn (Estland). Bei den fünf Werken handelt sich nahezu durchwegs (und das ist durchaus signifikant) um Partituren

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Viktor Orri Árnason

Viktor Orri Árnason

Es gab Zeiten, in denen wurden Landschaften, mitunter gar ganze Welten in Sinfonien entworfen – in einem wundervollen Spagat zwischen traditioneller Gattung und persönlicher Ausdeutung. Entstanden sind dabei Partituren von Weltrang, die noch immer faszinieren, die zum Nachdenken oder Träumen anregen, zu Tränen anrühren. Im hochmusikalischen Norden hat es wohl allein Finnland geschafft, sich rechtzeitig aus der stilistischen Falle der Nationalromantk zu befreien – ausgerechnet im überlangen Schatten von Sibelius. Auf Island musste man sich gar nicht erst absetzen: Das Land war terra incognita – und Jón Leifs gelang es

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Anna Thorvaldsdottir

Anna Thorvaldsdottir

Oft genug ärgere ich mich über CD-Produktionen, bei denen zwischen den Sätzen eines Werkes keine atmenden Pausen gesetzt wurden, gelegentlich sogar unterschiedliche Kompositionen dicht gepackt aufeinanderfolgen. Wenn dies geschieht, dann ist es nicht nur eine Fahrlässigkeit gegenüber dem jeweiligen Komponisten, sondern mehr noch gegenüber dem geneigten Hörer, der aus jedem Live-Konzert ganz anderes gewohnt ist. Was waren das für Zeiten, als einige Labels am Ende eines Albums noch bis zu einer Minute in sich ruhender «Stille» mit auf die CD packten – nur um zu vermeiden, dass der Laser nach

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Jóhann Jóhannsson

Jóhann Jóhannsson

Wenn ein solches Album bei der Deutschen Grammophon erscheint, dann deutet das auf mindestens eine Eigenschaft der Musik hin: Entweder sie gehört zum unumstößlichen Standardrepertoire, sie wird von weltweit unangefochtenen Interpreten gedeutet – oder sie ist irgendwie «hip»beziehungsweise wendet sich an die Gruppe der Hipster. Nun gehöre ich wahrlich nicht zu den Letztgenannten (ich interessiere mich zum Glück auch für Geschichte, aus der man zumeist sehr wohl lernen kann); vielleicht fehlen mir daher die «richtigen» Kategorien, nach denen (nicht nur) dieses Album zielgruppengerecht zu bewerten ist. Allein die Art der

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Gunnar Andreas Kristinsson

Gunnar Andreas Kristinsson

Island ist noch immer eine vergleichsweise junge Musiknation. Ohne institutionelle Infrastruktur waren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nahezu alle musikalisch Begabten gezwungen, für Ausbildung und Karriere die heiße Vulkaninsel im kalten Nordatlantik zu verlassen. Ein Sinfonieorchester war hier erstmals im Sommer 1926 zu hören, als Jón Leifs mit den Hamburger Philharmonikern eine Konzertreise dorthin unternahm (wohl für alle Seiten eine Sensation). Dass es heute eine sehr rege Szene gibt, liegt an verschiedenen Förderungen und Faktoren – mit Sicherheit aber auch an der Landschaft, die bei vielen zeitgenössischen isländischen Komponisten

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Winterreise / Zender

Winterreise / Zender

Wer Schuberts Winterreise in der ihr eigenen Modernität weiterdenkt, wird an Hans Zenders «komponierter Interpretation» aus dem Jahre 1993 nicht vorbeikommen. Die Partitur stellt den seltenen Glücksfall einer kongenial empfundenen und ausgearbeiteten «Musik über Musik» dar, ein Werk der inneren wie äußeren Verdichtung, ein Werk, das auf seltsam irritierende Weise die schon von Schubert angelegten Klänge durch neue Farben und Spielweisen aus der Beengtheit des modernen Klaviers befreit (mit Blick auf ein für Schubert zeitgenössisches Instrument mit seinem viel reicheren Spektrum stellt sich die Frage freilich ein wenig anders). Hans

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Winterreise / Le Chimera Project

Winterreise / Le Chimera Project

Die Produktion zeigt schlicht und ergreifend die faszinierende Offenheit von Müllers Versen in Schuberts unvergleichlicher Winterreise. Vielleicht mögen Puristen allein angesichts der Besetzung des Ensembles nach nur wenigen Zeilen bereits das Lesen dieser Rezension einstellen. Allerdings: entstanden ist hier eine in dieser Art einmalige Einspielung, mehr noch: eine Interpretation, die in sich von berückender Authentizität ist. Und ich lehne mich für einen Moment ganz weit aus dem Fenster: Hätte Schubert die recht eigenen Klänge und die Aufführungspraxis des aus dem weiten Osten kommenden Klezmer gekannt … wer weiß? Diese Einspielung

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