Frank BungartenIm «klassischen» Konzertleben ist die Gitarre nur selten anzutreffen. Mit ihrem intimen Ton ist sie ein Instrument der kleinen Räume, wenn nicht gar des Salons – sofern man es mit der großen Literatur des 19. Jahrhunderts ernst meint. Dann stößt man sofort auf den Namen von Fernando Sor (1778–1839), der mit einfachen Stücken und bissiger Ironie die Bedürfnisse anspruchsloser Zeitgenossen befriedigte, mit seinen großformatigen Kompositionen aber sowohl technisch wie auch formal die Grenzen sprengte. Der Lebensweg führte ihn von Barcelona über Paris und London nach Moskau, dann über Berlin wieder nach Paris zurück. Dass Sor auch Opern und Ballette komponiert hat, ist heute nahezu unbekannt, seine größer besetzte Kammermusik und vieles mehr ist verschollen.
Somit blieb die Rezeption seiner Musik bis heute in bestimmten Topoi gefangen. Auch als Frank Bungarten vor knapp 30 Jahren einige der höchst anspruchsvollen Etüden einspielte, änderte sich nur wenig, so dass er nun gar im Booklet bemerkt, dass «mit dem Medium der Ton-Aufnahme tatsächlich die am besten geeignete Bühne für die Musik von Fernando Sor geschaffen wurde.» Denn wer unter den auf diesem Album versammelten Favourite Works gefällige Piècen sucht, wird durch eine großformatige Sonate überrascht werden (mit einer Spielzeit von 25 Minuten), ebenso durch weitere Werken (wie Souvenirs d’une Soirée à Berlin), die den Klang der Gitarre musikalisch transzendieren. Eine Entdeckungsreise voller neuer Einsichten – von Frank Bungarten mit technischer Meisterschaft und sympathischem Understatement vorgetragen.
Fernando Sor. «Mes Ennuis» – Favourite Works Vol. 1
Morceaux de Concert op. 54; Introduction et Variations sur l’Air «Que né suis je la fougère!» op. 26; Grande Sonate Nr. 2 op. 25; Mes Ennuis – Six Bagatelles op. 43; Souvenirs d’une Soirée à Berlin op. 56
Frank Bungarten (Gitarre) MDG 905 2263-6 (2021)
Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.