Giovanni SgambatiNoch immer hat es die italienische Sinfonik um die Wende zum 20. Jahrhundert schwer, gehört zu werden. Die publikumswirksamere Gattung der Oper scheint nach wie vor alles andere zu überstrahlen. Und so steht auch die Geschichte der Sinfonie Nr. 2 (1883) von Giovanni Sgambati (1841–1914) geradezu beispielhaft für das intensive Bestreben, den musikalischen Kanon zu erweitern, und das nahezu tragische Scheitern an den Bedingungen des Musiklebens. Weder wurde das Werk am 27. Juni 1887 in Köln vollständig uraufgeführt, noch hielt ein großer deutscher Musikverlag sein Wort, die Komposition im Druck herauszubringen (sie erschien plötzlich als zu «traditionell»). Die handschriftliche Partitur kursierte für weitere Aufführungen in Europa – und ging dabei vermutlich verloren. Fast wäre es dem Stimmenmaterial ebenso ergangen, als 1994 der Nachlass unter den Hammer kam. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde es wieder aufgefunden. Rosalind Trübger erstellte daraus eine Partitur, die wiederum keinen Verlager fand, wohl aber das Orchestra Sinfonica di Roma, das 2012 die Sinfonie erstmals einspielte – um sich bald danach aufzulösen. Erst zehn Jahre später erschien die Aufnahme dann bei Naxos (nun nicht mehr die chronologisch erste in der Runde).
Ein rezeptionsgeschichtliches Abenteuer, das aber auch zeigt, dass selbst das 20. Jahrhundert längst historisch geworden ist und es einer systematischen Sicherung von Quellen – national wie international – dringend bedarf. Denn die Sinfonie überzeugt sowohl in der Form als auch im Ausdruck. Natürlich atmet sie verschiedene Einflüsse der Zeit (Sgambati verkehrte dazu über viele Jahre freundschaftlich mit Liszt), und doch kann sie ihre transalpine Herkunft vom Tonfall her kaum verleugnen. Das hat weniger mit spezifischen Allusionen zu tun, sondern vielmehr an ihrer (trotz aller Gewichtigkeit) leicht anmutenden Instrumentation. Beigegeben ist als wirkliche Ersteinspielung die fünfsätzige Sinfonia epitalamio (1887) – ein Werk, das eigentlich aus der Zeit gefallen ist: Es wurde zur Hochzeit von Prinz Amedeo von Savoyen, Herzog von Aosta, und Prinzessin Laetitia Bonaparte geschrieben und in Turin am 12. September 1888 uraufgeführt. Tatsächlich «riecht» es ein wenig nach Gelegenheitswerk – aber es ergänzt den Blick auf einen Komponisten, der allmählich auf eine kleine Renaissance zusteuert. Die Aufnahme mit dem Orchestra Sinfonica di Roma ist sehr ordentlich. Der sinfonische Gestus wird vorbehaltlos nach vorne gebracht, nur bei der Intonation und dem langen Blick müssen Abstiche gemacht werden.
Giovanni Sgambati. Sinfonie Nr. 2 Es-Dur (1883); Sinfonia epitalamio (1887)
Orchestra Sinfonica di Roma, Francesco La Vecchia Naxos 8.572686 (2012)
Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.