21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Józef Kozłowski / Requiem

Józef Kozłowski / Requiem
Józef Kozłowski / Requiem
Wer sich mit den Tonartencharakteren einigermaßen auskennt, wird beim Requiem von Jozef Kozłowski (1757–1831) einen Aha-Effekt verspüren. Denn es steht wirklich in es-Moll – jener Tonart, über die Christian Friedrich Daniel Schubart in seiner Ästhetik der Tonkunst 1784/85 notierte: «Empfindungen der Bangigkeit des aller tiefsten Seelendrangs; der hinbrütenden Verzweiflung; der schwärzesten Schwermuth, der düsteren Seelenverfassung. Jede Angst, jedes Zagen des schaudernden Herzens, athmet aus dem gräßlichen Es moll. Wenn Gespenster sprechen könnten; so sprächen sie ungefähr aus diesem Tone.» Damit ist viel gesagt – und es trifft den Kontext dieses Requiems, auch wenn Kozłowski 1798 von dem damals noch unveröffentlichten Schubart-Text keine Kenntnis haben konnte. Denn das Werk erklang öffentlich zur Totenfeier des letzten polnischen Königs Stanisław II, der mit der letzten Teilung Polens abdankte und fortan «unter Beobachtung» im St. Petersburger Exil lebte. Den Zeitgenossen aber dürfte bewusst gewesen sein, dass Kozłowski zugleich ein musikalisches Epitaph auf das von der europäischen Landkarte für lange Zeit verschwundene Polen geschaffen hatte.

Eingespielt wurde die erste Fassung des Werkes, die sich offenbar als unediertes Autograph erhalten hat. Im Druck erschien hingegen die Fassung von 1825, die um einen Trauermarsch und ein Salve Regina (!) erweitert, nochmals größer besetzt und massiger instrumentiert wurde. Grund dafür waren die Trauerfeierlichkeiten zu Ehren von Zar Alexander I, für den als König von Polen auch eine katholische Messe zelebriert wurde. Etwaige Anklänge an das Mozart’sche Requiem sucht man bei Kozłowski indes vergebens. Der Beginn des Tuba mirum ähnelt diesem nur zufällig – der Satz entwickelt sowohl eine andere Melodie wie auch einen abweichenden Charakter. Viele Passagen in den anderen Sätzen erinnern eher an bühnendramatische Musik italienischer oder französischer Herkunft (vielleicht spielt auch Cherubini eine gewisse Rolle). Dass das Werk lange Zeit nicht aufgeführt wurde, ist allerdings auch den Satzverläufen zuzuschreiben, in denen Kozłowski oft gängige Topoi bedient oder allzu vorhersehbar fortschreitet. Wie konzertant das Requiem angelegt ist, zeigt das Judex ergo, bei dem zwei Violoncelli obligat geführt werden. In anderen Sätzen sorgen Klarinetten und Posaunen für dunkle Farben. Ob man das Werk aber so energisch und mit großer pathetischer Geste (Confutatis) angehen muss?

Józef Kozłowski. Requiem es-Moll (1798)
Olga Peretyatko (Sopran), Olesya Petrova (Mezzo), Boris Stepanov (Tenor), Christoph Seidl (Bass), Singapore Symphony Chorus, Singapore Symphony Youth Choir, Singapore Symphony Orchestra, Hans Graf

Pentatone PTV 5187 125 (2023)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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