Obwohl über Jahrzehnte und zuletzt als Hofkapellmeister in Weimar tätig, hat sich der Mantel des Vergessens über die Person und das Schaffen von Ernst Wilhelm Wolf (1735–1792) gelegt. Das hat mehrere Ursachen – und vergleicht man die Lebensdaten einmal mit denen von Joseph Haydn (1732–1809), so sollte das Problem der Originalität in der sich im weiteren 18. Jahrhundert rasch und radikal wandelnden musikalischen Welt nicht klein geredet werden. Für die 30er und 40er-Jahrgänge muss sich die Entwicklung als unglaubliche Herausforderung dargestellt haben. Und so ist man verblüfft, vergleicht man Wolfs vollkommen auf der Höhe der Zeit stehenden Streichquartette opp. 1, 2 und 3 (1779, 1781 und 1785) mit den vorliegenden Kantaten – insbesondere der 1783 zunächst als weltliche Huldigungsmusik zur Geburt eines Erbprinzen entstandene, später weihnachtlich parodierte Kantate «Willkommen, du schönster der Tage», die trotz galanter Anklänge stilistisch retrospektiv anmutet. Die anderen (offensichtlich älteren) Kantaten fügen sich besser ins geschichtliche Bild. Den Namen Ernst Wilhelm Wolf sollte man freilich nach Weihnachten nicht so rasch vergessen. Die in kleiner Besetzung agierende Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens hat eine vorzügliche, interpretatorisch trefflich gestaltete und mit viel Engagement produzierte Einspielung vorgelegt.
Ernst Wilhelm Wolf. Christmas Cantatas
Willkommen, du sehnlich erbetener Tag; Seid böse, ihr Völker; Auf, jauchzet, ihr Christen; Willkommen, du schönster der Tage
Beate Mordal (Sopran), Elvira Bill (Alt), Georg Poplutz (Tenor), Matthias Vieweg (Bariton), Andrey Akhmetov (Bass), Kölner Akademie, Michael Alexander Willens
cpo 555 524-2 (2022)