21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Ernst Wilhelm Wolf / Kölner Akademie

Ernst Wilhelm Wolf / Kölner Akademie
Ernst Wilhelm Wolf / Kölner Akademie
Seit mehr als zwei Jahrzehnten kann ich mir Weihnachten nicht mehr ohne eine Repertoire-Entdeckung durch das Label cpo vorstellen. Mit unerschütterlichem Eifer erscheint hier «alle Jahre wieder» – meist aus der reichen mitteldeutschen Schatzkammer – ein Oratorium oder eine Sammlung von Kantaten, gelegentlich auch bisher Unerhörtes aus anderen Regionen und Ländern. Der allseits bekannte «Sechsteiler» von Johann Sebastian Bach bleibt bei dieser anhaltenden Repertoire-Schau zwar unbestritten auf Platz 1 – aber was wäre dieser Platz ohne all die Nachfolgenden? Und so höre ich mich immer wieder gerne durch Agricola, Gebel, Graun, Graupner, Hertel, Homilius, Kuhnau, Mattheson, Rolle, Schelle, Stölzel, Telemann – und diesmal durch die Weihnachtskantaten von Ernst Wilhelm Wolf.

Obwohl über Jahrzehnte und zuletzt als Hofkapellmeister in Weimar tätig, hat sich der Mantel des Vergessens über die Person und das Schaffen von Ernst Wilhelm Wolf (1735–1792) gelegt. Das hat mehrere Ursachen – und vergleicht man die Lebensdaten einmal mit denen von Joseph Haydn (1732–1809), so sollte das Problem der Originalität in der sich im weiteren 18. Jahrhundert rasch und radikal wandelnden musikalischen Welt nicht klein geredet werden. Für die 30er und 40er-Jahrgänge muss sich die Entwicklung als unglaubliche Herausforderung dargestellt haben. Und so ist man verblüfft, vergleicht man Wolfs vollkommen auf der Höhe der Zeit stehenden Streichquartette opp. 1, 2 und 3 (1779, 1781 und 1785) mit den vorliegenden Kantaten – insbesondere der 1783 zunächst als weltliche Huldigungsmusik zur Geburt eines Erbprinzen entstandene, später weihnachtlich parodierte Kantate «Willkommen, du schönster der Tage», die trotz galanter Anklänge stilistisch retrospektiv anmutet. Die anderen (offensichtlich älteren) Kantaten fügen sich besser ins geschichtliche Bild. Den Namen Ernst Wilhelm Wolf sollte man freilich nach Weihnachten nicht so rasch vergessen. Die in kleiner Besetzung agierende Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens hat eine vorzügliche, interpretatorisch trefflich gestaltete und mit viel Engagement produzierte Einspielung vorgelegt.

Ernst Wilhelm Wolf. Christmas Cantatas
Willkommen, du sehnlich erbetener Tag; Seid böse, ihr Völker; Auf, jauchzet, ihr Christen; Willkommen, du schönster der Tage
Beate Mordal (Sopran), Elvira Bill (Alt), Georg Poplutz (Tenor), Matthias Vieweg (Bariton), Andrey Akhmetov (Bass), Kölner Akademie, Michael Alexander Willens

cpo 555 524-2 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 3 von 5 in Michael Kubes HörBar #105 – Weihnachten