12. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Gramss’ States Of Play: Urschall

Gramss’ States Of Play: Urschall
Gramss’ States Of Play: Urschall

Anders als beim Ensemble-Stück von Sebastian Gramss‘ METEORS-Sextett gelingt mit dem großen Ensemble, man nennt es hier «Pocket Orchestra», eine Reise bis ins Zentrum der Entstehung unseres Universums mit diesen elf ineinanderübergehende Tracks tadellos und mit einer Selbstverständlichkeit, die vom ersten Ton an gleichzeitig sehr ökonomisch agiert und einen Präsenzwunsch bekundet, den die Musiker:innen komplett einlösen. Schier unglaublich, wie die kompositorischen Felder hier ineinandergreifen bei durchschnittlich übergroßer Unabhängigkeit: Rhythmische Felder, neben Arpeggiopatterns, punktuellen Bass- und Perkussionsimpulsen, Clusterinseln und synthetischem Klanggefrickel – es greift alles vollkommen ineinander.

Wie hier in zerklüffteten Patternteilen mit feinsten Abstufungen am Tongewebe gearbeitet wird mit Ansatz und mit subtilsten Timbreschwankungen, das dürfte nur wenigen Ensembles dieser Größenordnung vergönnt sein. Es ist extrem aufregend, wie die Klänge hier erzeugt werden, wie Oktavsprünge beispielsweise in der Trompete so messerscharf Unsauberkeiten zulassen und erst dadurch dieses ganz eigene Universum in Raum und Zeit setzen.

Überhaupt: diese schmutzige Musik ist auch dramaturgisch in ihrem Zeitlauf von einer höchsten Musikalität geprägt, wie man sie nicht sehr häufig zwischen die Ohren bekommt. «Urschall» ist sicherlich eine der denkbar aktuellsten Musik, die gerade auf einem der wenigen bewohnten Planeten des gesamten Universums sich ereignet hat. Dass das Universum so lange darauf wenigstens 13,8 Milliarden Jahre hat warten müssen, nun, das wird es verschmerzen, in dem halt irgendwo mal wieder ein paar schwarze Löcher kollabieren. Die Musiker:innen tun es hier nicht. Sehr geil das.


Sebastian Gramss’ States Of Play: Urschall – Repercussions [2023]

  • Valentin Garvie – Trumpet, Zink
  • Rudi Mahall – Bass Clarinet, Clarinet
  • Wanja Slavin – Saxophone
  • Nicola L. Hein – Guitar
  • Etienne Nillesen – Prepared Snare
  • Philip Zoubek – Piano, Synthesizer
  • Christian Lorenzen – E-Piano, Synthesizer
  • Christian Ramond – Double Bass
  • Sebastian Gramss – Double Bass, Synthesizer
  • Dominik Mahnig – Drums, Percussion
  • Thomas Sauerborn – Drums, Percussion
  • Robert Nacken – Synthesizer
  • Music by Sebastian Gramss
    Produced by Sebastian Gramss, Ana Lakčević with UK Rattay

Rent a dog (VÖ: 13.10.2023 – Vinyl, CD, Digital)

 

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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