Dramatisch wie musikalisch unterscheidet sich das Passions-Oratorium «Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld» dazu grundlegend. Es ist 1720 in Gotha entstanden, wo Stölzel ein Jahr zuvor zum Hofkapellmeister ernannt worden war. Das Libretto der insgesamt 22 Betrachtungen scheint er selbst verfasst zu haben, fast durchgehend dem Raster von Rezitativ, Arie und Choral folgend: Die freie Nacherzählung kommentiert die «gläubige Seele» und wird von der «christ-lichen Gemeinde» in traditionellen Choralstrophen abgeschlossen. So umfasst die kleinteilige Komposition insgesamt 66 Nummern – ein Aufbau, der auch die kompositorische Erfindung fordert. Und Stölzel enttäuscht nicht. Bach hat die Passion nach 1734 in Leipzig aufgeführt, auch einige andere Aufführungen lassen sich nachweisen (u.a. Göttingen, Berlin, Nürnberg). Wie so oft ist es dann eine glückliche Überlieferung, die das Werk überhaupt erhalten hat. Was wohl alles verloren gegangen ist? Hier sorgt jedenfalls Hermann Max mit gut disponierten Solisten und seinen bewährten Ensembles, der Rheinischen Kantorei und dem Kleinen Konzert, für Andacht bzw. Kontemplation.
Gottfried Heinrich Stölzel. Passions-Oratorium «Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld»
Veronika Winter (Sopran), Franz Vitzthum (Altus), Markus Brutscher (Tenor), Martin Schicketanz (Bass), Rheinische Kantorei, Das Kleine Konzert, Hermann Max
cpo 555 311-2 (2019)
