„Der Titel hat schon seine Bedeutung“, schmunzelt Kyianytsia. „Während des Lockdowns bin ich fast jeden Tag joggen gegangen und so hat das Stück eine konkrete Beziehung zu meinem Leben. Ich finde, man kann spüren, wie jemand rennt.“ Geplant und realisiert und motiviert, lange bevor der unmenschliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine begonnen hat, erscheint dieses Debütalbum einen Monat nach Beginn des Krieges. Zu Beginn des Frühlings, dessen letzter Tag hier im Titel beschworen wird.
Das ist alles nur noch Irre. Der Musik hört man nichts an. Vitalii Kyianytsia stammt aus Kiew und hat auf Umwegen über die Neue Musik (hier das Ensemble Modern und das Ensemble LUX:NM), ja soll man sagen: „zurückgefunden“ zum Jazz? Zu einem Jazz auf Flucht vor Lockdowns und Einsamkeiten, einer Musik, die schon mal auf der Stelle steht und in sich kreist – was ein Titel wie das Starterstück „Spiral“ auch evident nahelegt. Aber darin geht die Kunst dieses Trios nicht auf. Sie weitet ihren Arbeitsraum Stück für Stück aus, gleichwohl ziellos, nicht zu Ufern hin, sondern ins Dickicht reichhaltiger Klangwelt.
Das ist Jazz-Trio-Art ohne Hypertrophie eines musikalischen Besserwissens oder -könnens, sondern einfach die feinste Form kammermusikalischer Interaktion zwischen „Freiheit und Struktur“ auf dem Feld dieser traditionellen Musik von Piano, Bass und Schlagzeug. Gleichwohl passiert hier immer wieder Ungewöhnliches, so als ob rhythmisierte Harmonik in Farbe sich transformiert („Last Day Of Spring“). Oder Impuls(e) wie im Stück von Bassist Johannes Fink „S.O.M. & D.I.D.“ in eine musikalische Rush-Hour hin- und herkippen. Knochentrocken dagegen der Anfang von „Spring Sprint“, das sich alsbald virtuos in Melos, Rhythmus und Harmonik auffaltet.
Es ist alles das eine Art musikalischer Zauberwald der drei Musiker, die hier feine Tonblüten austreiben. Bitte, bitte, lass‘ es in den Menschen Frühling werden. Damit diese Musik in alle Welt hinaus kann.
Vitalii Kyianytsia Trio: Last Day of Spring
- Vitalii Kyianytsia – piano
- Mathias Ruppnig – drums
- Johannes Fink – bass
Double Moon Records | DMCHR 71399