Man mag es kaum glauben, dass auch Johann Strauss (Sohn) während seines an Erfolgen so reichen Lebens mit wahren Fehlschlägen zu kämpfen hatte. Die entsprechenden Kompositionen wurden jedoch von den noch immer weltbekannten Ohrwürmen wohlig überdeckt und gerieten rasch in Vergessenheit. Auf der Bühne geht es dabei noch gnadenloser zu als auf dem Konzertpodium – und so wurde die am 18. Dezember 1878 im Theater an der Wien uraufgeführte dreiaktige Operette Blindekuh bereits nach nur 16 Vorstellungen ein für allemal abgesetzt. Nun erlebt man also nach etwas mehr als 140 Jahren eine Wiederauferstehung. Ganz sicher nicht wegen des allzu verwirrenden und banalen Librettos, vielleicht aber wegen der Musik mag solche eine Exhumierung die Anstrengung wert sein. Dabei sollte das Beste gerade gut genug sein, denn ein solcher Versuch steht immer unter doppelter «Beobachtung». Eine einmalige Chance – für das Werk, für das Repertoire, für das Ensemble.
Gerade im Bereich der Operette möchte man in so einem Fall dennoch gut unterhalten werden. Denn wo das Libretto schwächelt, erwartet man interpretatorisch eine besonders liebevolle wie perfekte Aufarbeitung in Kombination mit einer gehörigen Portion (Selbst-)Ironie. Dazu gehört die doppelbödige Ausdeutung der einzelnen Worte, das lustvolle Fließen der Melodien. Die Voraussetzungen dafür liegen üblicherweise in der klugen Auswahl der Sänger:innen (vorzugsweise in der entsprechenden Muttersprache), ihrer möglichst flexiblen Stimmen und ihrer Erfahrung mit solch riskanten Produktionen. Nur: bezaubern kann diese Einspielung unter diesen Aspekten kaum. Abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen (etwa Andrea Chudak als Betsy) erscheint die Besetzung kaum ausreichend. Statt frei und spielerisch mutet zu vieles durchbuchstabiert an – dies gilt auch für das Philharmonische Orchester Sofia unter der Leitung von Dario Salvi. Akustisch seltsam offen und zugleich topfig eingefangen, stellt sich auch beim dritten Durchhören noch immer eine gewisse Besorgnis ein. Dass der Chor für eine Operette viel zu üppig und geradezu oratorisch besetzt ist, mag man noch hinnehmen. Doch auch das Editing der Produktion wirkt hemdsärmelig: Im gedruckten Booklet bietet die Trackliste die Textanfänge allein auf Deutsch, Einführung und Synopse werden hingegen nur auf Englisch gedruckt. Für das Libretto (Deutsch-Englisch) wird auf eine Web-Adresse verwiesen, die eine pdf-Datei auf die Festplatte lädt. Hier finden sich dann lediglich die gesungenen Worte – es fehlt ein die Nummern verbindendes knappes Szenarium. Da fühlt man sich geradezu an das Finale des II. Akts erinnert: «Wir Alle führen Dich, muh, muh, muh! Blindekuh!»
Johann Strauss II. Blindekuh (1878)
Robert Davidson (Bass-Bariton), Kirsten C. Kunkle (Sopran), Martina Bortolotti (Sopran), Roman Pichler (Tenor), James Bowers (Tenor), Andrea Chudak (Sopran), Daniel Schliewa (Tenor), Emily K. Byrne (Mezzo), Julian Rohde (Tenor), Boyan Vasilev (Tenor), Peter Petrov (Bass), Snezhina Kumanova (Alt), Sofia Philharmonic Orchestra, Sofia Philharmonic Chorus, Dario Salvi
Naxos 8.660434-35 (2019)