12. Oktober 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Édouard Lalo – Dmitry Smirnov

Édouard Lalo – Dmitry Smirnov
Édouard Lalo – Dmitry Smirnov
Ein wunderschöner Titel ziert das Album, denn wer möchte nicht auf Reisen gehen oder dazu eingeladen werden? Ob es dann aber wirklich in einem der kleinen Fischerboote sein muss, die sich eher für einen Ausflug in den Sonnenuntergang eignen? Angespielt wird mit dem Motto jedenfalls nur auf den eröffnenden Gesang von Henri Duparc (1848–1933), der hier (wie auch einige weitere kleine Stücke) für Violine und Orchester arrangiert wurde. Allerdings finden sich im Booklet zur weiteren poetischen Durchbringung lediglich Charles Baudelaires Verse (und diese nur im französischen Original). Schade. Im Zentrum der Produktion stehen freilich zwei der insgesamt vier (!) Violinkonzerte von Édouard Lalo (1823–1892) sowie als Intermezzo Introduktion et Rondo capriccioso op. 24 von Camille Saint-Saëns.

Was die knapp 80 Minuten umfassende Reise mit Dmitry Smirnov durch den französischen (und am Rande auch russischen) Klangkosmos so faszinierend macht, ist nicht nur sein warmer, gerader und ausdrucksstarker Violinton (vor allem auf den tiefen Saiten), sondern auch die genau ausgehörte Orchesterpartitur: keine beiläufige Pflichtübung vor den Mikrophonen, sondern eine in jedem Detail gestaltete Begleitung, die das Programm so vom Verdacht des bloßen Star-Shootings befreit. Zudem erklingt nicht etwa Lalos Symphony espagnole, sondern sein noch ganz im klassischen Sinne gestaltetes Konzert Nr. 1 op. 20 (1873), ferner das vierte und letzte op. 29 (1879), das wegen seiner verwendeten Melodik den Beinamen Concerto russe trägt. In so berückender Klarheit interpretiert, stellt sich die Frage, ob bald auch die beiden anderen Konzerte noch folgen werden – darunter dann die Fantaisie norvégienne, mit der sich das hier schlüssig umgesetzte Konzept noch weiterschreiben ließe.

L’invitation au voyage
Edouard Lalo. Violinkonzert Nr. 1 F-Dur op. 20; Violinkonzert Nr. 4 op. 29 «Concerto russe»; Henri Duparc. L’invitation au voyage, arr. für Violine und Orchester; Camille Saint-Saëns. Introduktion et Rondo capriccioso op. 28; Nikolai Rimsky-Korsakow. «Zvon Kolokol v Evlascheve Sele» und «Zvonili zvoni v Novgorode» aus «Chants russes» op. 24, arr. für Violine und Ensemble; Modest Mussorgsky. Svetik Savishna, arr. für Violine und Ensemble
Dmitry Smirnov (Violine), Kammerorchester Basel, Heinz Holliger

Prospero PROSP 0071 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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