Eine Ode an die Freiheit. Nein, nicht die umtextierte von Schiller / Beethoven und mit Leonard Bernstein im Schatten der gerade überwundenen Berliner Mauer, sondern die von Paul Éluard (1895–1952): 1942 geschrieben und dann über und in ganz Frankreich verbreitet. Als 70 Jahren später Jacques Hétu (1938–2010) die Strophen mit dem (durch alle Lebensalter) wiederkehrenden Vers «J’écrits ton nom» (schreib ich deinen Namen) vertonte, entstand mit der 5. Sinfonie ein Werk für das 21. Jahrhundert – ein Werk, das allerdings erst (wieder)entdeckt werden muss. Denn Hétu, frankophoner kanadischer Komponist, starb wenige Woche vor der Uraufführung, die Partitur blieb ein Geheimtipp. Sie erzählt in einer universellen, zeitgenössischen Tonsprache die Geschichte von Paris, dem deutschen Einmarsch und der Besetzung – und im Chorfinale vom unbrechbaren Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung.
Die Einspielung von 2024 entstand zu einer Zeit, in der Freiheit und Selbstbestimmung an allen Ecken und Enden der Welt erneut und fundamental bedroht sind – von außen wie von innen. Eine Musik von brennender Aktualität, die sich dennoch nicht in Pathos ergeht, auch wenn hie und dort die eine oder andere Geste an das lange 19. Jahrhundert und gelegentlich sogar fast konkret an Wagner erinnert. Vielleicht aber sind es gerade diese Allusionen, die die Sinfonie auszeichnen und für das große besetzte Orchester dankbar anmuten. Hétu arbeitet dabei nicht mit Tricks aus der großen Kino-Kiste, sondern mit weiteren Linien, kontrapunktischen Linien, und einer die vier Sätze überspannenden Stringenz in Klang und Faktur. Und nur am Rande: Nicht das «doppelte» Orchester allein macht die Produktion so monumental, sondern die sehr genaue technische Umsetzung aller Aspekte der Komposition. Erst dann kann die Größe des Ensembles den «Druck» erhöhen. Musikalisch ein appellatives Meisterwerk – mit «letzten Worten», die allen Mahnung und Auftrag sein sollten.
Jacques Hétu. Sinfonie Nr. 5 op. 81
Toronto Mendelssohn Choir, Orchestre du Centre National des Arts du Canada, Orchestre symphonique de Québec, Alexander Shelley
Analekta AN 28890 (2024)