14. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Ukrainian Masters / Violinsonaten

Ukrainian Masters / Violinsonaten
Ukrainian Masters / Violinsonaten
Eine interessante und im doppelten Sinne bewegende Konstellation. Bereits 2016 hat Solomiya Ivakhiv eine Reihe von Stücken ukrainischer Komponisten aufgenommen – für das amerikanische Label Labor und unter dem Titel Ukraine – Jouney to Freedom. Sie selbst bezeichnete den Titel damals als «Provokation» (das Land feierte den 25. Jahrestag der Unabhängigkeit). Dass nun ein weiteres Album erscheint, diesmal mit gewichtigen Sonaten, lenkt die Aufmerksamkeit angesichts der aktuellen Entwicklungen natürlich auch auf den Titel. Doch der ist mit Ukrainian Masters einerseits selbstbewusster, andererseits aber auch neutraler und ganz auf die Musik bezogen. Eingespielt wurden Werke von Viktor Stepanowitsch Kosenko (1896–1938), Myroslaw Skoryk (1938–2020) und Serge Bortkiewicz (1877–1952) – gewichtige Sonaten aus den 1920er Jahren und aus dem Unabhängigkeitsjahr 1991.

Lässt man einmal all die laut mitschwingenden Zwischentöne beiseite, so eröffnet sich eine lange vergessene, höchst interessante musikalische Landschaft im Osten Europas. So stammt der Vater des in St. Petersburg geborenen Viktor Kosenko aus der Ukraine; später zog die Familie nach Warschau. Zurück in Moskau, ging Kosenko Anfang der 1930er Jahre nach Kyjiv, um dem Zentrum des Stalinismus zu entkommen. Sergei Bortkiewicz wiederum wurde in Charkiv geboren, studierte in St. Petersburg und Leipzig, nach dem Ersten Weltkrieg findet man ihn in Konstantinopel, dann in Paris und Berlin – und ab 1933 schließlich in Wien. Myroslav Skoryk wurde in Lviv geboren und mit seinen Eltern nach Sibirien deportiert, studierte in seiner Heimatstadt sowie in Moskau und wurde zu einer zentralen Figur des ukrainischen Musiklebens. Alle drei Werke werden von einer eigentümlichen Balance zwischen Kraft und Melancholie getragen und knüpfen auf jeweils unterschiedliche Weise an die Traditionen des 19. Jahrhunderts an: deutlich spätromantisch bei Bortkiewicz (1927) und Kosenko (1922), eher gestisch bei Skoryk. Solomiya Ivakhiv realisiert gemeinsam mit Steven Beck die ganz unterschiedlichen Charaktere sehr ernst und mit einem eher festen Ton. Ich könnte mir die Werke auch etwas unbeschwerter, musikantischer vorstellen.

Ukrainian Masters
Viktor Kosenko. Violinsonate a-Moll op. 18 (1927); Myroslav Skoryk. Violinsonate Nr. 2 (1991); Sergei Bortkiewicz. Violinsonate g-Moll op. 26 (1922)
Solomiya Ivakhiv (Violine), Steven Beck (Klavier)

Naxos 8.579146 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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