Lässt man einmal all die laut mitschwingenden Zwischentöne beiseite, so eröffnet sich eine lange vergessene, höchst interessante musikalische Landschaft im Osten Europas. So stammt der Vater des in St. Petersburg geborenen Viktor Kosenko aus der Ukraine; später zog die Familie nach Warschau. Zurück in Moskau, ging Kosenko Anfang der 1930er Jahre nach Kyjiv, um dem Zentrum des Stalinismus zu entkommen. Sergei Bortkiewicz wiederum wurde in Charkiv geboren und studierte in St. Petersburg und Leipzig; nach dem Ersten Weltkrieg findet man ihn in Konstantinopel, dann in Paris und Berlin – und ab 1933 schließlich in Wien. Myroslav Skoryk wurde in Lviv geboren und mit seinen Eltern nach Sibirien deportiert, studierte in seiner Heimatstadt sowie in Moskau und wurde zu einer zentralen Figur des ukrainischen Musiklebens. Alle drei eingespielten Werke werden von einer eigentümlichen Balance zwischen Kraft und Melancholie getragen und knüpfen auf jeweils unterschiedliche Weise an die Traditionen des 19. Jahrhunderts an: deutlich spätromantisch bei Bortkiewicz (1927) und Kosenko (1922), eher gestisch bei Skoryk. Solomiya Ivakhiv realisiert gemeinsam mit Steven Beck die ganz unterschiedlichen Charaktere sehr ernst und mit festem Ton. Ich könnte mir die Werke auch etwas unbeschwerter, musikantischer vorstellen.
Ukrainian Masters
Viktor Kosenko. Violinsonate a-Moll op. 18 (1927); Myroslav Skoryk. Violinsonate Nr. 2 (1991); Sergei Bortkiewicz. Violinsonate g-Moll op. 26 (1922)
Solomiya Ivakhiv (Violine), Steven Beck (Klavier)
Naxos 8.579146 (2022)