10. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Violinkonzert / Francesca Dego

Violinkonzert / Francesca Dego
Violinkonzert / Francesca Dego
Brahms und Busoni? Ja, bei den beiden Violinkonzerten ist diese Koppelung nicht nur aufschlussreich, sondern auch historisch naheliegend. Als sich Busoni in vergleichsweise jungen Jahren an die Konzeption und Ausarbeitung von Solo und Partitur machte, stand er selbst noch ein wenig im Banne des Meisters. Das Werk entstand 1896/97 gewissermaßen im Umfeld von Brahms’ Tod und ist ohne dessen Violinkonzert op. 77 nicht zu denken. Also: Wer seinen Brahms im Ohr hat, wird an diesem Busoni seine Freude haben – so nah und doch so eigenständig fern ist die schöpferische Auseinandersetzung. Dass beide Werke zudem in der prädestinierten Violintonart D-Dur stehen, muss nicht eigens betont werden. Wie aber setzt Francesca Dego diese beiden Schwergewichte um?

Es ist hilfreich, sich zunächst mit der Brahms-Einspielung vertraut zu machen. Sie steht sicher nicht an erster Stelle – auch nicht, was die Leistung des BBC Symphony Orchestra unter Dalia Stasevska betrifft. Schon die Exposition des Kopfsatzes macht auf mich einen etwas zu professionellen Eindruck aufgrund einer letztlich doch pauschalen Interpretation. In der Realisation des Soloparts durch Francesca Dego scheint mir sogar etwas zu viel mediterrane Sonne durch den wunderbaren Nebel der Komposition zu strahlen – dieses Violinkonzert bietet so viele Nuancen und Zwischentöne, dass es einer solchen «Aufhellung» nicht bedarf. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, erscheint auch das Konzert von Busoni zwar gründlich, aber etwas einseitig ausgeführt. Das Tutti ist nicht wirklich gestaltet, die Solistin schwebt oft ohne wirkliche Verbindung über allem. – Erstaunlich, dass in den letzten Jahren gleich zwei ganz andersartige Einspielungen vorgelegt wurden: die klanglich außerordentlich zupackende von Tanja Becker-Bender (Hyperion, 2013) sowie die technisch wie gestalterisch brillante von Frank Peter Zimmermann (Sony, 2005). Das vorliegende Album stellt daher leider nur eine Ergänzung aus einem anderen Blickwinkel dar.

Ferruccio Busoni. Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35a; Johannes Brahms. Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77
Francesca Dego (Violine), BBC Symphony Orchestra, Dalia Stasevska

Chandos CHSA 5333 (2023)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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