21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Klavierwerke / Wolf Harden

Klavierwerke / Wolf Harden
Klavierwerke / Wolf Harden
Abgesehen von einigen Highlights auf dem Konzertpodium und einer sehr überschaubaren Zahl von Neueinspielungen ist das aktuelle Busoni-Gedenkjahr bisher kaum in Erscheinung getreten. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein, doch ist zu vermuten, dass sich auch zu einem 100. Todestag an der dramaturgischen Bequemlichkeit kaum etwas verändern wird – zumal sich aktuell mit Bruckner und Fauré Alternativen im Repertoire anbieten. Dabei gehört Ferruccio Busoni (1866–1924) zu jenen großen, großartigen und die Musikgeschichte prägenden Komponisten, die (wie übrigens auch Franz Liszt) immer wieder unterschätzt oder an den Rand gedrängt werden: Sein Œuvre ist etwas unübersichtlich, und zu den Originalwerken gesellen sich zahllose Bearbeitungen und „instruktive Ausgaben“ (Bach-Busoni), die spätestens seit dem Siegeszug der historischen Aufführungspraxis an Bedeutung verloren haben.

Umso erstaunlicher ist es, dass Wolf Harden (einst Pianist im legendären Trio Fontenay) sich seit einigen Jahren der Klaviermusik Busonis annimmt und mit dem vorliegenden Album inzwischen ein ganzes Dutzend programmatisch stimmiger Produktionen vorgelegt hat – ein Ende der herausragenden Serie ist noch nicht abzusehen. Harden spielt seinen Busoni ganz aus dem 19. Jahrhundert heraus. Er sucht nicht nach Modernität, sondern lässt die Werke selbst sprechen: in ihrer vielfältigen kontrapunktischen Intensität, ihrer komplexen Faktur und Harmonik, auch in ihrer bisweilen befremdlichen Sprödigkeit. Darin aber liegt ein deutlich hörbarer Gewinn – nämlich dann, wenn Busoni an den entscheidenden Stellen seiner Kompositionen selbst für Eindeutigkeit sorgt. Langweilig wird es nie: ob in der ruhig schillernden Weihnachtsnacht, den barockisierenden Albumblättern, den einfacher gebauten Sonatinen oder in der das ganze Instrument ausschöpfenden Bearbeitung von Schönbergs op. 11/2. Ein Sakrileg, das zwischen den beiden Neuerern aber für Klarheit sorgte.

Ferruccio Busoni. Piano Music Vol.12
Präludium und Fuge C-Dur op. 36, BV 180 (1880/81); Sonatina Nr. 1, BV 257 (1910); Sonatina Nr. 2, BV 259 (1912); Sonatina Nr. 4 «in diem nativitatis Christi», BV 274 (1917); Nuit de Noël, BV 251 (1908); Drei Albumblätter, BV 289 (1917/21); Arnold Schönberg. Klavierstück op. 11/2, BV B. 97 (1909) (Arr. Ferruccio Busoni)
Wolf Harden (Klavier)

Naxos 8.574579 (2023)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 4 in Michael Kubes HörBar #132 – Busoni 100