Rolle und seine Lukas-Passion von 1744 gehören schon einer Zeit an, die sich allmählich der Empfindsamkeit zuwandte. Große kontrapunktisch durchgearbeitete Nummern findet man nicht, dafür aber Wendungen, die nicht mehr vollständig dem barocken rhetorischen Affekt folgen, sondern mit einer gewissen Reflexion ins Innere vordringen. Allerdings bietet das Lukas-Evangelium selbst kaum ins Große gesteigerte dramatische Szenen und damit auch kaum eine Chance zum intensiven Wechselspiel mit den Soliloquenten und den Turbae Chören. Umso wichtiger ist in den 90 Minuten die Folge von Rezitativen, Arien und Chorälen, wobei ein eher betrachtender Duktus angeschlagen wird. – Die Produktion trifft in dieser Hinsicht den Kern der Komposition, die übrigens damals in Magdeburg über vier Jahre hinweg in den Stadtkirchen aufgeführt und später noch einmal wiederaufgeführt wurde. Fließend, leichtfüßig in den Gesten, denkt man eher an symbolische Darstellungen des christlichen Lamms, weniger an den menschlichen Schmerz des Karfreitags. Ausgewogen und engagiert realisiert das Solisten-Ensemble mit nur wenigen Abstrichen das Werk: Petrus wie auch Jesus fehlt es zwar ein wenig an «Sonorität» – andererseits waren es vor 2000 Jahren auch keine «altersreifen» Protagonisten. Ein musikalisch interessanter Baustein.
Johann Heinrich Rolle. Lukas-Passion (1744)
Siri Thornhill (Sopran), Elvira Bill (Mezzo), Markus Schäfer (Tenor), Hugo Hymas (Tenor), Thilo Dahlmann (Bass-Bariton), Matthias Vieweg (Bariton), Dora Pavlikova (Alt), Kölner Akademie, Michael Alexander Willens
cpo 555 525-2 (2022)
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